Vielleicht ist das Alte Rathaus von Michelstadt das hübscheste Gebäude Deutschlands. Vielleicht ist es aber auch nur das anrührendste: Man sieht ein Häuschen mit einem einzigen Stockwerk, das auf fragilen Holzarkaden balanciert, während es auf dem Kopf ein gewaltiges Pyramidendach trägt. Jeden Augenblick, so glaubt man, müsse dieses Gebilde zusammenbrechen.
Doch es steht nun schon seit 1484 auf dem Marktplatz, beschützt von einer spätgotischen Basilika. Die evangelische Stadtkirche von Michelstadt birgt in ihrem Inneren die phantastischen Grabmale der Schenken von Erbach. Sie gelten als die bedeutendsten Kunstwerke der Region. Ein Ausflug ins Tal der Mümling.
Michelstadt ist das Zentrum des Odenwalds. Seine Höhen steigen hier an bis auf 515 Meter.
Der Odenwald hat es dem Menschen stets schwer gemacht: Undurchdringlich seine Höhen, tief seine Täler, lang und eisig seine Winter. Keine Gegend, in der Menschen bevorzugt siedeln. Die einzige Ausnahme bildet das Tal der Mümling, die fünfzig Kilometer lang dem Main zustrebt. Weitgehend naturbelassen, sogar mit Bachforellen und Äschen.
An der Mümling liegen die beiden Städte Erbach und Michelstadt, nur zwei Kilometer von einander entfernt und längst zusammengewachsen. Michelstadt ist mit 16000 Einwohnern die größte Stadt im Odenwaldkreis. Ihre Höhen steigen hinan bis auf 515 Meter. Irgendwo dort oben beginnt Bayern.
Der Gründer von Michelstadt hieß Einhard und ist weltberühmt, weil wir ihm die einzige karolingische Basilika diesseits der Alpen verdanken. 821 erbaut. Ein Traum. Einhard vermachte seinen gesamte Besitz dem Kloster Lorsch, das ihn zum Dank mit einer Kapelle in Michelstadt ehrte. Exakt dort, wo heute die gotische Kirche steht. Die Nordwand der karolingischen Kapelle und zwei archaische Steinsarkophage sind noch erhalten.
Als „Schenken“ des Kurfürsten gehörten die Herren von Erbach zum Hochadel. Also brauchten sie eine repräsentative Grablege.
1232 war die Zeit von Kloster Lorsch vorbei. Die Abtei und die beiden Städte an der Mümling wurden dem Erzbischof von Mainz unterstellt, was den Pfalzgrafen in Heidelberg zur Weißglut brachte. Er pochte auf seine Rechte als Vogt des Klosters Lorsch, es kam zum Krieg, der Pfalzgraf gewann. Weshalb sich die Herren von Erbach fortan gen Heidelberg orientierten. Was ihnen gut bekam. Sie eroberten den lukrativen Posten des „Schenken“, das war so etwas wie der Geschäftsführer des Kurfürsten im Rang eines Grafen. Definitiv Hochadel. Als solcher brauchte man eine repräsentative Grablege: 1543 wurde die spätgotische Basilika in Michelstadt geweiht.
Die prächtigsten Grabmale stehen im riesigen Chor der Kirche. Überwölbt von einem Sternenhimmel.
Die Verstorbenen der Grafenfamilie ruhen bis heute in der riesigen Krypta unter der Kirche. Sie muss wunderbar ausgemalt sein mit Fresken, doch sehen kann man sie nicht. Privatbesitz der Grafen. Was aber nur halb so schlimm ist. Denn die prachtvollsten Grabmale stehen oben im riesigen Chorraum der Stadtkirche, überwölbt von einem Sternenhimmel.
Einzigartig: Die Tumba von Georg II. und das Grabmal von Friedrich Magnus aus dem frühen 17. Jahrhundert. Man kann sich nicht sattsehen an all den Löwen, Engeln und Sphinxen. Johann Casimir ließ sich 1627 in Denkerpose verewigen. Er sieht aus, als könne jeden Moment auf und davon gehen. Den Höhepunkt jedoch bildet das Hochgrab von Georg III. und Elisabeth von Erbach. Sie waren es, die die Reformation in Michelstadt eingeführt haben. Ganz große Kunst.
Viermal am Tag verzaubert das Glockenspiel der Basilika den Michelstädter Markt.
Bleibt noch das Glockenspiel. Viermal am Tag verzaubert es den Michelstädter Marktplatz. Ein Auswanderer nach Amerika hat es gestiftet.
1913. Mit stolzen 28 Glocken. Im Krieg wurden sie eingeschmolzen, dank einer Lotterie konnte man sie 1958 wieder aufhängen. Der Hit ist: „Üb immer Treu und Redlichkeit.“ Irgendwie passt das zum Odenwald.
Kirchenfakten |
Name: Evangelische Stadtkirche Michelstadt Adresse: Am Kirchplatz 1, 64720 Michelstadt Konfession: evangelisch Baujahr: 1537 Baustil: Gotik Kunstschätze: – erstes dreistimmiges Glockenspiel Deutschlands – romantische Jann-Orgel auf der Rückempore – zahlreiche Renaissance-Grabmale aus Alabaster – Epitaphien – Mittelalterliches Taufbecken – mittelalterliche Grabplatten Öffnungszeiten: Seiteneingang tagsüber geöffnet Kontakt: Büro der Stadtkirche, Obere Pfarrgasse 22, 64720 Michelstadt Telefon: 06061-2390 E-Mail: info@stadtkirche-michelstadt.de Internet: www.stadtkirche-michelstadt.de |