Michelstadt: Ein Raum jenseits der Zeit

Die Einhards-Basilika ist
mehr als 1200 Jahre alt.

Wie still es hier ist. Kein Laut durchdringt diese uralten Mauern. Nur die Sonne malt ihre Muster auf den Sandstein. Wo endet die Gegenwart? Wo beginnt die Vergangenheit? Was sind schon 1200 Jahre?

So lange ist es her, dass ein kleiner Mann hinaufgeblickt hat zum hohen Holzdach seiner Basilika. Um Abschied zu nehmen. Von der Kirche, die einst sein ganzer Stolz gewesen. Doch nun wollte Einhard noch Größeres wagen. Er war schließlich nicht umsonst Ratgeber zweier Kaiser gewesen. Einhard straffte sich und bestieg sein Pferd. Zurück blieb die älteste vollständig erhaltene karolingische Basilika nördlich der Alpen. In Steinbach bei Michelstadt.

Mit Karl dem Großen kehrte die Kultur zurück. Zunächst in Form einer neuen Schrift.

Das kleine Modell zeigt,
wie die Basilika ausgesehen hat.

Das achte Jahrhundert war die Götterdämmerung der Zivilisation. Vorbei die dunkle Zeit der Merowinger. Mit Karl dem Großen kehrte die Kultur zurück. Zunächst in Form einer neuen Schrift. Erstmals stand jeder Buchstabe für sich. Was das Lesen enorm erleichterte. Und für Arbeit in den Klöstern sorgte. Ihnen oblag es nun, alles Wissen niederzuschreiben. In korrektem Latein.

Einhard, ein Adelssprößling aus dem Odenwald, kam 777 ins Kloster Fulda. Als Schüler. Der Junge war intelligent und avancierte rasch zum Schreiber. Mit 20 wechselte Einhard nach Aachen an den Hof Karls des Großen. Hier entdeckte er seine Begabung für die Dichtkunst. Sie katapultierte ihn in den engsten Kreis des Kaisers.

In Michelstadt schrieb Einhard die „Vita Karoli Magni“. Weltliteratur.

Im 14. und 15. Jahrhundert war
die Basilika ein Frauenkloster
.

814 starb Karl der Große. Doch auch Ludwig der Fromme, sein Sohn, schätzte den kleinwüchsigen Dichter und machte ihn zum Lehrer seines Sohnes. Da Einhard auch in dieser Rolle brillierte, erhielt er zum Dank die Dörfer Michelstadt und Seligenstadt. Endlich konnte er heiraten. Seine Imma. In Michelstadt bauten sie sich einen Herrenhof. Hier schrieb Einhard die „Vita Karoli Magni“. Weltliteratur.

Kaum war das Werk vollbracht, nahm Einhard die Ewigkeit in Angriff. Eine standesgemäße Grablege musste her. Architektur vom Feinsten. Am besten eine römische Basilika, die der Zeitgeist gerade wiederentdeckt hatte. Vermutlich zwischen 824 und 826 ist die Einhardsbasilika errichtet worden. Ohne jedes Hilfsmittel. Mit unendlicher handwerklicher Sorgfalt.

Dann interessierte die Kirche
niemanden mehr. Zum Glück.

Die rotbraunen Sandsteine wurden perfekt in Form gehauen und zu einem grandiosen Mittelschiff zusammengefügt. Ein hoher, weiter, kubischer Raum. Ohne jeden Schmuck. Architektur pur. Beleuchtet allein durch tiefe Fensternischen in den Obergaden. Mystisch, still, sakral. Wie ein Zwischenreich zwischen dem Hier und dem Dort.

Direkt unter dem Altar hatte Einhard eine Krypta bauen lassen. Für sich und Imma.

Direkt unter dem Altar hatte Einhard die Krypta vorgesehen. Mit zwei Grabstätten. Für sich und Imma. Dumm nur, dass er keine Reliquien besaß von Märtyrern, die beim Jüngsten Gericht als Fürsprecher für das Ehepaar eintreten könnten. So glaubte man im frühen Mittelalter.

Die rotbraunen Sandsteine ist perfekt in Form gehauen. Architektur pur.

Was jetzt kommt, klingt erstaunlich. Gelinde gesagt. Einhard schickte seinen Freund Ratleik nach Rom, um die Knöchelchen zu beschaffen. Doch statt nach Fingern zu suchen, stahl dieser zwei vollständige Skelette aus den Katakomben. Die Märtyrer Marcellinus und Petrus. Aus dem 4. Jahrhundert. Einhard war außer sich vor Freude. Ströme von Wallfahrern würden dereinst zu seinem Grab pilgern.

Einhardt baute neu. In Seligenstadt. Größer, schöner, himmelstürmender.

Die Einhardsbasilika war für solch einen Auflauf viel zu klein. Man musste neu planen. Größer, schöner, himmelstürmender. In Seligenstadt am Main. Hier ruhen sie bis heute. Marcellinus und Petrus, Einhard und Imma.

Die Basilika in Michelstadt indes hatte die Welt aus den Augen verloren. Was ein großes Glück war. Sonst wäre sie wohl kaum in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten geblieben. Als ein Raum jenseits Zeit. Denn was sind schon 1200 Jahre.

Kirchenfakten
Name: Einhards-Basilika
Adresse:
Schloßstraße 17, 64720 Michelstadt-Steinbach
Konfession:
katholisch
Baujahr:
824 bis 826 (vermutlich)
Baustil: karolingisch
Kunstschätze:

– Reste karolingischer Malerei in der Hauptapsis
– Kreuzförmige karolingische Stollenkrypta
– Originale kleine Rundbogenfenster im Obergaden
– 2 originale Okuli-Fenster in der Ostwand des Mittelschiffs
– Grabplatten von Äbtissinnen aus dem 14. und 15. Jahrhundert
– Reste spätgotischer Malereien
Öffnungszeiten:

Immer Dienstag bis Sonntag.
Anfang März bis Ende Oktober: 10 bis 17 Uhr
November bis Mitte Dezember: 12 bis 16 Uhr
Januar/Februar: geschlossen
Eintritt: 3,50 Euro (Erwachsen), 2 Euro (Ermäßigte), 8 Euro (Familien)
Kontakt:
Pforte der Einhards-Basilika, Schlosstraße 17, 64720 Michelstadt-Steinbach
Telefon:
06061-73967
E-Mail:
info@schloesser.hessen.de
Internet:
www.schloesser-hessen.de/de/einhardsbasilika

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