Seit vier Tagen schüttete es. Wie eine Sintflut prasselte der Regen herab und verwandelte den Neckar in ein tosendes Inferno. Das größte Hochwasser aller Zeiten. In ihm ertrank am 30. Oktober 1824 die Altstadt von Eberbach. 11,94 Meter hoch stand die Flut auf dem Markt. Nur Dächer lugten noch hervor.
Am schlimmsten traf es die evangelische Kirche. Ihr drang die Brühe bis in die Balken. Das war das Todesurteil. Was Eberbachs Protestanten nicht bedauerten. Sie wünschten sich schon lange ein neues Gotteshaus. Groß, hell, klar. Im modernen Stil des Klassizismus, mit der Eleganz eines griechischen Tempels. So wie die Michaelskirche.
Eberbach ist eine geheimnisvolle Stadt. Äußerlich wirkt sie geschäftig. Wer jedoch tiefer gräbt, stößt auf Rätsel. Das beginnt schon beim Neckar. Völlig grundlos ändert er bei Eberbach seine Richtung. Statt nach Norden strömt er plötzlich gen Westen. Obwohl er sich dafür durch den Odenwald hindurchfressen muss.
Schon die Römer haben hier eine Schiffslände gebaut. Ein Dorf haben sie nicht gegründet.
Und dann die Stadtgründung. 1227. Das ist spät, angesichts der günstigen Lage Eberbachs an der Mündung des Gammelsbachs und der Itter. Seit Menschengedenken dienten die Wildbäche als Transportwege für Holz. Schon die Römer haben sich hier eine Schiffslände gebaut. Doch ein Dorf haben sie nicht gegründet. So wenig wie die Staufer. Die Herren von Lauffen bauten immerhin drei Burgen. Auf einem Felssporn. Die Ruinen sind strikt von einander abgegrenzt. Warum? Weiß niemand.
Im Hochmittelalter bot Eberbach einen prachtvollen Anblick. Mit stattlicher Mauer und 12 Türmen. 1426 wird erstmals eine Kirche am Markt erwähnt. Doch das gotische Gotteshaus, 1556 reformiert, war schon immer zu klein. Sieben Emporen auf drei Seiten zählt die Chronik. Je zwei lagen übereinander. Die siebte sah die Kanzel nur von hinten. Die „Weiberstühle“ hatte man „grottenartig“ in die Mauer hineingebrochen. Kein Wunder, dass Eberbach nicht gram war, als die Flut die Kirche nahm. Jetzt musste der Badische Großherzog endlich das Geld für einen Neubau bewilligen. Im modernen klassizistischen Stil, den Karlsruhe so liebte.
Die Menschen hatten genug von Gold und Putten. Sie sehnten sich nach der Ruhe dorischer Säulen.
Der Klassizimus war die Antwort auf die Übersättigung des Rokoko. Die Menschen hatten genug von Gold, Schnörkeln und Putten. Sie sehnten sich nach der kühlen Klarheit der Antike. Genau das wollten Eberbachs Protestanten auch haben.
Seit 1841 ist die Stadtkirche fertig. Hoch aufgerichtet blickt ihr quadratischer Turm über den Marktplatz hinweg. Kein Schnörkel, nirgends. Die Kirche ist mit Eichenpfosten im Boden verankert, ihr Eingang liegt höher als die Hochwassermarke von 1824. Innen begrüßt ein weiter, heller Kirchenraum in Zartgelb. Klar gegliedert durch zwei Reihen dorischer Säulen, die die Emporen tragen.
Früher hing die Orgel über dem Altar, heute schwebt sie auf Beton über dem Eingang. Den Altarraum zieren jetzt eine moderne Lunette aus Künstlerhand und ein schlichtes Holzkreuz. Erst 1925 konnte sich Eberbach dazu durchringen, es aufzustellen. So lange wirkte das calvinistische Bilderverbot noch nach.
Niemand rettetet besser aus der Gefahr als der Erzengel Michael.
Bleibt noch die Geschichte mit dem Namen. 1974 beschlossen man, das Gotteshaus zu taufen. Doch auf welchen Namen? Tiefes Nachdenken. Dann fand jemand heraus, dass das erste – katholische – Marktplatzkirchlein St. Michael geheißen. Ein guter Name. Ein Name mit Tradition.
Jahre vergingen. Dann hat jemand anderes die Sache nachgeschlagen. Das Ergebnis: 1426 stand hier eine Marienkirche. Eberbachs Protestanten blieben ihrem Erzengel trotzdem treu. Denn bekanntlich errettet niemand besser aus der Gefahr als Michael. Und wer weiß, wann es wieder schüttet.
Kirchenfakten |
Name: Michaelskirche Adresse: Neuer Markt 1, 69412 Eberbach Konfession: evangelisch Baujahr: 1841 Baustil: Klassizismus Kunstschätze: – Kurpfälzisches Wappen von 1423 aus Sandstein im Eingangsbereich – Wappen des Großherzogtums Baden von 1841 aus Sandstein im Eingangsbereich – Altar-Rundfenster von Will Sohl (1956) – Orgel von Friedrich Weißenborn (1967) mit 52 registern, 3 Manualen und 3296 Pfeifen / Umbau durch Joachim Popp (1994) – Prinzipalstücke, Taufstein und Bronzekreuz von Emil Jo Homolka (1973) – Gläserne Bibel und gläserne Liedtafeln von Ulrike Nelles (1998) Öffnungszeiten: Von Mai bis Oktober täglich geöffnet von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr. Außer Montag Vormittag und Samstag Vormittag Kontakt: Evangelisches Gemeindebüro, Leopoldsplatz 3, 69412 Eberbach Telefon: 06271-4787 E-Mail: eberbach@kbz.ekiba.de Internet: www.eki-eber.de |