Tairnbach: Ein Gotteshaus aus zweiter Hand

Die Kirche von Tairnbach im Kraichgau stand früher in Wiesloch.

Was tut man, wenn man sich sehnlichst eine Kirche wünscht, aber zu wenig Geld hat, um sich eine zu bauen? Man kauft sein Gotteshaus „secondhand“. So wie die Protestanten von Tairnbach im Kraichgau.

1813 war ihr altes Kirchlein zusammengebrochen. Da ihnen die nötige Barschaft für einen Neubau fehlte, mussten die Tairnbacher im Schulhaus beten. Bis eines Tages eine Notiz in der Zeitung erschien: Die lutherische Kirche von Wiesloch, stand da geschrieben, wird versteigert. Unverzüglich spannten die Tairnbacher die Pferde vor die Wagen, zockelten übers Feld und erstanden das Gotteshaus. Um es ab- und auf dem Tairnbacher Kirchhügel wieder aufzubauen. Ein einzigartiger Fall von sakralem Recycling.

In Tairnbach glaubte man treu lutherisch. In Wiesloch hingegen, nur 12 Kilometer entfernt, streng calvinistisch.

Tairnbach liegt idyllisch eingebettet in einem Seitental des Waldangelbachs. Sanften Hügel sucht man hier vergebens. Am Tairnbächle sind die Hänge bewaldet, feucht, steil und von tiefen Hohlwegen durchfurcht. “Tairn“ ist keltisch und bedeutet „Wasser“.

Die Empore, die Kanzel und die Bänke stammen noch original aus der lutherischen Kirche.

Den Mittelpunkt des 1200-Einwohner-Dorfs bildet ein stattliches Schloss, in dem aber schon lange niemand mehr wohnt. Früher hat man die Residenz als Rathaus genutzt, doch 1975 wurde Tairnbach nach Mühlhausen eingemeindet. 

Die Reformation kam 1528 an den Tairnbach. Das Dorf gehörte damals den Rittern von Hirschhorn, die lutherisch glaubten. Was die Tairnbacher Bauern fortan auch taten. In Wiesloch hingegen, nur 12 Kilometer entfernt, herrschte strenger Calvinismus, denn hier regierte die Kurpfalz.

800 Gulden haben die Tairnbacher für ihr gebrauchtes Kirchlein bezahlt. Ein Schnäppchen.

Erst 1746 durften sich auch die wenigen Wieslocher Lutheranern ein Kirchlein bauen. Doch lange währte ihre Freude daran nicht, denn schon 1821 kam die Badische Kirchenunion, die Calvinisten und Lutheraner zu einer Konfession vereinte. Damit war das lutherische Kirchlein überflüssig. 800 Gulden haben die Tairnbacher dafür bezahlt. Samt Inventar. Ein Schnäppchen …

Der Altar, der Taufstein und die Orgel sind später hinzugekommen.

… und eine Liebe auf den ersten Blick. Fast zärtlich legten die Tairnbacher Bauern die Bänke auf ihre Hänger. Hingebungsvoll verpackten sie die Ziegel, die Fenster, das Portal. Während die Wieslocher ihnen eine genaue Skizze anfertigten, damit sie das Kirchlein in Tairnbach identisch wieder zusammensetzen konnten. Am ersten Advent 1823 zog Tairnbach in feierlicher Prozession in sein neues Gotteshaus ein.

Die Wieslocher Bänke sind noch immer gut in Schuss und werden bis heute rege genutzt.

Schmuck thront die kleine spätbarocke Kirche noch heute auf ihrem Hügel. Eine vornehme Holzempore umrahmt von drei Seiten das Kirchenschiff. Den Schalldeckel der Kanzel krönt ein eleganter Pelikan, der seine Jungen mit dem Blut aus seiner Brust nährt. Ein uraltes Christus-Symbol. Die Wieslocher Bänke sind noch immer gut im Schuss und werden rege genutzt. Inzwischen neu hinzugekommen sind die Elektrik, der moderne Altar, der Taufstein und das hölzerne Altarbild, das in die Emporenbrüstung eingelassen ist. Es zeigt den auferstandenen Christus. 

Das Altartuch hingegen, der kostbarste Besitz der kleinen Kirche, ruht heute wohlkonserviert im Badischen Landesmuseum.

Das kostbare „Tairnbacher Altartuch“ ruht heute sicher verwahrt im Museum.

Womit wir beim „Tairnbacher Altartuch“ wären. Das ist das kostbarste Besitztum der kleinen Kirche. Carl Steingötter, ein hochangesehener lutherischer Gerbermeister aus Wiesloch hat es 1820 der Kirche gestiftet. Das Tuch ist ein Kunstwerk, an dem die Weber von Eichtersheim gearbeitet haben. Man sieht die Passion Christi in fünf Szenen. Auf der einen Seite des Tuches schwarz auf weiß, auf der anderen Seite weiß auf schwarz. Dunkel und hell, positiv und negativ. Wie das Leben so ist. Das kostbare Altartuch befindet allerdings nicht mehr in Tairnbach. 1985 entschied sich die Gemeinde, es als Dauerleihgabe an das Badische Landesmuseum in Karlsruhe zu übergeben. Hier ruht es bei streng kontrollierter Luftfeuchtigkeit im Depot. 

Kirchenfakten

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