Neckarhausen: Noch Kirche oder schon Skulptur? 

St. Andreas ist der früheste Zentralbau im Erzbistum Freiburg. Radikale Moderne.

Alles schwingt in St. Andreas. Die Wände, die Bankreihen, der Altar und vor allem die Kuppel aus elliptischen Betonplatten. Als gigantisches Mobile schweben sie über dem Kirchenschiff. Pfeiler sucht man vergebens, rechte Winkel auch.

Die Kirchenskulptur hat die Beschlüsse des II. Vatikanums vorweggenommen, bevor das Konzil überhaupt eröffnet war.

St. Andreas, 1960 geweiht, gilt als der früheste Zentralbau im Erzbistum Freiburg. Das Gotteshaus hat die Beschlüsse des II. Vatikanums radikal vorweggenommen. Zwei Jahre bevor das Konzil überhaupt begonnen hat.

Auf einem runden Podest steht der Altar völlig frei inmitten der Gemeinde.

Neckarhausen liegt ziemlich perfekt auf halbem Weg zwischen Heidelberg und Mannheim. Das Dorf schlängelt sich am Neckarufer entlang. Eine uralte Autofähre bringt die Neckarhäuser hinüber nach Ladenburg. Hier residierten bis 1705 die Bischöfe von Worms, die von ihrem reformierten Volk ins Exil geschickt worden waren. Jetzt sorgten die Exzellenzen dafür, dass wenigstens Neckarhausen treu katholisch glaubte. 

Die 13 Meter hohen Kuppel ist ein futuristisches Meisterwerk, das die Formbarkeit des Beton bis zum Anschlag ausreizt.

Das taten auch die Grafen von Oberndorff, die sich 1778 ein hübsches klassizistisches Schloss in Neckarhausen gebaut haben. 1963 ist das Grafengeschlecht ausgestorben, seitdem residiert im Schloss der Bürgermeister. Und im herrlichen Schlosspark flanieren seine Bürger. Ein Graf von Oberndorff war es auch, der 1783 beim Kurfürstlichen Hofbaumeister ein barockes Kirchlein in Auftrag gegeben hat. Es steht heute saniert und profaniert im Kirchhof von St. Andreas. Für Veranstaltungen kann man es mieten.

Das Dämmerlicht in der Kirche erinnert verblüffend an mittelalterliche Kathedralen.

1960 war es mit der verträumten Idylle in Neckarhausen vorbei. Dank des Mannheimer Stadtbaudirektors Richard Jörg avancierte das Dorf nun zur Speerspitze der Avantgarde im Erzbistum Freiburg. Die Kirche St. Andreas war ein Meilenstein, der vom Beginn einer neuen katholischen Ära kündete: Vorbei die Zeiten, in denen die Messe komplett auf den Priester fixiert war. Ab jetzt wurde die ganze Gemeinde aktiv in den Gottesdienst einbezogen. Eine Revolution.

Spiralförmig, entmaterialisiert, vielfach gebrochen strebt die Großplastik zum Himmel hinauf.

So wie das runde Podest, auf dem der Altar unter der 13 Meter hohen Kuppel völlig frei steht. Die Kuppel, die allein die Kirche beleuchtet, ist ein futuristisches Meisterwerk, das die Formbarkeit des Sichtbetons bis zum Anschlag ausreizte.

Spiralförmig, aufgetürmt, entmaterialisiert und vielfach gebrochen strebt die Großplastik hinauf zum Himmel. Während unten an den Wänden hinter dem Altar zwei schmale Fensterbänder geheimnisvoll glühen. Zwischen ihnen steht eine gotische Madonna aus dem 13. Jahrhundert. Sie lächelt still in sich hinein. Als ob das Licht in St. Andreas sie an die Kathedralen erinnerte, die sie in ihrer Jugend gekannt hat.

Der Künstler Thèo Kerg schuf einen kristallinisch leuchtenden Kreuzweg. Geheimnisvoll und still wie ein Gebet.

Die künstlerische Gestaltung des weiten Rundbaus lag in den Händen von Thèo Kerg. Der abstrakte Künstler aus Luxemburg hat abwechselnd in Paris und in Hockenheim gelebt. Die Stadt Schriesheim zeigt sein Gesamtwerk in einem eigenen Museum.

Der abstrakte Kreuzweg ist eine tiefe philosophische Arbeit.

Die Neckarhäuser Kirche gestaltete Kerg als geheimnisvolle Gotteshöhle. In die geschwungenen Wände sind 14 kleine kristallinisch leuchtende Betonfenster eingelassen. Sie formen einen abstrakten Kreuzweg, still wie ein Gebet. Von Station zu Station nimmt das schmerzhafte Rot zu … 

Thèo Kergs Kreuzweg ist eine tiefe philosophische Arbeit, die extrem abstrahiert. Alleingelassen ist es schwer seine Assoziationen nachzuvollziehen.  Glücklicherweise liegen in der Kirche Handzettel aus, die die Gedanken des Künstlers erläutern. Station für Station.

Kirchenfakten

Name: St. Andreas
Adresse: Fichtenstraße 18, 68535 Edingen-Neckarhausen
Konfession: katholisch
Baujahr:  1960
Baustil: Moderne
Kunstschätze
– Kreuzweg in Dickglastechnik von Théo Kerg
– Mosaikkreuz mit Goldmosaik im Chorraum von Théo Kerg
– Künstlertabernakel von Théo Kerg
– Türen aus Farbglas und Schmiedeeisen von Théo Kerg
– Orgel von Xaver Mönch und Söhne (1967)
– französische Madonna um 1200
Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet
Kontakt: Pfarrbüro St. Andreas, Fichtenstraße 18, 68535 Edingen-Neckarhausen
Telefon: 06203 – 2216 
E-Mail: st.andreas@st.martin-ma.de
Internet: www.st.martin-ma.de





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