Dühren: Das wiedergefundene Paradies

Der sechseckige Chor
überlebte sogar die Bomben.

Die Kirche von Dühren starb am Ostermontag des Jahres 1945. Getroffen von einer amerikanischen Panzerbrandgranate. Wie eine Fakel loderte der neugotische Turm zum Firmament empor. Die Glocke durchschlug donnernd den Boden. Ein Inferno aus Flammen und Rauch.

Doch als die Dührener am nächsten Morgen den Kirchhügel hinanstiegen, glaubten sie ihren Auge nicht zu trauen. Inmitten der Trümmer stand noch immer der sechseckige gotische Chor. Unversehrt. Und schöner denn je. Der abgeplatzte Putz nämlich hatte hauchzarte mittelalterliche Fresken freigelegt, von deren Existenz niemand etwas geahnt hatte. Das Wunder von Dühren.

Die Evangelisten schweben durch einen sphärischen Blumengarten in Pastell.

Der Kraichgau ist uraltes Siedlungsland. Mehr als zwanzig Meter misst die Lößschicht, die seinen Hügeln eine überbordende Fruchtbarkeit beschert. Seit Urzeiten hat sie Menschen angelockt. 1830 entdeckte man auf den Hügeln bei Dühren vierzehn Gräber aus der Steinzeit.

1865 stolperte ein Bauer beim Pflügen über das Grab einer keltischen „Fürstin“. Voll von Ringen, Armreifen und Spangen. Seither ist Dühren überzeugt, dass auf seinem Hausberg einst eine keltische Fliehburg stand. Und der Name des Dorfes auf das keltische Wort „durum“ zurückgeht. „Festung“.

Das zauberhafte Netzgewölbe
entstand 1494.

Seit 827 wacht ein Gotteshaus über die Talmulde, in die sich Dühren kuschelt. Es steht prominent auf dem zentralen Hügel. Die Krone des Dorfes. 1494 ersetzte Freiherr Jörg von Venningen die Kapelle durch die gotische Nikolauskirche. Die Jahreszahl steht im Chor. In Majuskeln.

Auch Junker Jörg ist noch da. Sein Antlitz ziert eine der sechs Konsolen, die das gotische Netzgewölbe tragen. Es ist ein Paradies in Pastell. Die Evangelisten schweben in einem sphärischen Blumengarten. Der Himmelswind spielt mit ihren Spruchbändern. Direkt darunter: Ein Sakramentshäuschen mit dem Bildnis der Veronika. Uralt. Wunderschön.

Das mystische Spiel des bunten Lichts im Chor muss einst magisch gewesen sein.

Der Heidelberger Maler Harry MacLean hat den Chor nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert. Während nebenan das neue Kirchenschiff angebaut wurde. Bewusst schlicht und zurückhaltend. Damit der spätgotische Edelstein umso strahlender funkeln kann.

Die Bleiglasfenster hat der Großherzog entwendet.

Das Licht im Dührener Chor muss einst magisch gewesen sein. Bunte Bleiglasfenster von hoher Qualität hüllten dem Raum eine mystische Aura. Die Fenster, allesamt Stiftungen, haben ein Vermögen gekostet. Der Badische Großherzog Leopold jedoch blätterte nur 40 Dukaten auf den Tisch, als er 1838 die Schönheiten mitnahm. Sie sollten künftig sein Schloss bei Gernsbach zieren. So geht Absolutismus.

1552 wurde die Reformation eingeführt. Dabei ist man in Dühren bis heute geblieben.

Heute hängt der Dührener Schatz im Stuttgarter Landesmuseum. Die Fenster sind nicht der einzige Verlust, den die Nikolauskirche verkraften musste. Auch ihr wertvoller gotischer Schnitzaltar wurde verkauft. Wohin, weiß niemand. Er ist verschollen.

Die Reformation kam 1552 nach Dühren. In lutherischer Façon. Erasmus von Venningen, der dem Reformator auf dem Wormser Reichstag live begegnet ist, hat sie eingeführt. Den Dührenern war’s recht. Sie sind bis heute beim protestantischen Bekenntnis geblieben. Größtenteils.

Der „König des Historismus“ ersetzte das Dührener Kirchlein durch eine Trutzburg.

Die neue Kirche gibt sich
bewusst schlicht
.

Das Jahr 1895. Auftritt des großherzoglichen Oberbaurats Hermann Behaghel. Der König des Historismus ersetzte das Dührener Kirchlein durch eine Trutzburg. Türme, Erker, Zinnen und eine gewaltige Prachtreppe, die zum Dorf hinunter führte. All dieser Prunk lebte nur fünfzig Jahre. Dann verglühte er in der Hitze der Panzerbrandgranate.

Allein die Stufenanlage hat überlebt. Noch heute verbindet sie das Dorf mit der Kirche. Die Geschäftigkeit mit der Stille. Das Profane mit dem Heiligen. Ein barrierefreier Zugang ist nicht möglich.

Kirchenfakten
Name: Nikolauskirche
Adresse: Karlsruher Straße, 74889 Sinsheim-Dühren
Konfession: evangelisch
Baujahr: 1494 / 1952
Baustil: Gotik / Moderne
Kunstschätze:
– spätgotischer Chor mit Sterngewölbe von 1494 mit Evangelisten-Symbolen, filigraner Pflanzenornamentik, Wappenschlusssteinen und Büsten an den Gewölbekonsolen
– gotische Maßwerkfenster
– gotische Sakramentshäuschen mit Eisengitter
– spätgotischer Abendmahlskelch auf Silber mit Feuergoldungen von 1497
– gotische Chorfenster von 1497 (Repliken)
Öffnungszeiten: Nach Vereinbarung
Kirchenschlüssel gibt es beim Peugeot-Autohaus Dörr in Dühren, bei Frau Pasker (Karlsruher Straße 19 in Dühren) oder bei der Metzgerei Ohr direkt neben der Kirche
Kontakt: Pfarramt Sinsheim-Dühren, Karlsruher Straße 27, 74889 Sinsheim
Telefon: 07261 – 2547
E-Mail: duehren@kbz.ekiba.de
Internet: www.eki-duehren.de

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