
Sie kamen aus allen Richtungen. Vom Osten, Norden, Süden. Ja, sogar vom Westen mit dem Boot über den Rhein. Hauptsache: Sie gelangten irgendwie nach Mannheim. Denn nur dort gab es die Eisenbahn. Und nur dort gab es Fabriken, die eine Überlebenschance für die bitterarmen Bauern vom Land boten.
Dass man dafür in dröhnenden Hallen Schwerstarbeit leisten musste, störte nicht. Denn die Alternative wäre das Verhungern gewesen.
1913 zählte Mannheim bereits über 200000 Einwohner, das waren zehn Mal so viel wie zuvor. Riesige Wohnviertel wurden aus dem Boden gestampft, ein jedes mit zwei Kirchen. Das vielleicht spektakulärste Gotteshaus entstand in der Neckarstadt-Ost: St. Bonifatius ist eine Kirche wie ein Gebirge. Hoch, machtvoll, majestätisch.

23 Meter misst die gewaltige Kuppel, der Turm ist 52 Meter hoch. Die überbaute Gesamtfläche beträgt stolze 1300 Quadratmeter. Das sind die Maße eines Doms.
In der Neckarstadt wohnten traditionell die Arbeiter. Das war genau der richtige Ort für die Franziskaner-Brüder.
Architekt Ludwig Maier, der Kirchen in allen Stilen gebaut hat, wählte für die Neckarstadt das „Neobarock“. Später sagte man „Jugendstil“. Es wird oft behauptet, dass die Katholiken mit St. Bonifatius der evangelischen Christuskirche in der Oststadt, einem Juwel des Jugendstils, Konkurrenz machen wollte. Aber macht eigentlich keinen Sinn. Denn in der Oststadt standen die Villen der Fabrikanten, in der Neckarstadt jedoch wohnten die Arbeiter. Und mitten unter ihnen die Franziskaner-Mönche. Aber die kamen erst nach dem Ersten Weltkrieg.

Das große Sterben begann am 1. August 1914. Da war St. Bonifatius gerade mal im Rohrbau fertig. Man strich die Planungen radikal zusammen und weihte die Kirche im Juni 1915 ohne Innenausstattung. Nur ein schlichter Tisch stand im gewaltigen Rund. Bis 1925 die Franziskaner kamen.
Klare Linien und die Konzentration auf das Wesentliche dominieren in St. Bonifatius.
Die Patres und Brüder gehörten zum Kloster Fulda. Was stark nach göttlicher Fügung klingt. Denn im Dom von Fulda liegt der heilige Bonifatius begraben, der Patron der neuen Kirche. Die Franziskaner bauten sich gleich nebenan ein Klösterchen, dann legten sie los: Sie kümmerten sich um traumatisierte Soldaten, um überforderte Mütter und ihre hungrigen Kinder. Und ganz nebenbei richteten die Brüder auch noch die Kirche ein. Klare Linien und die Konzentration auf das Wesentliche dominieren in St.Bonifatius. Und natürlich das Licht. Es huscht durch das riesige Rund, es flimmert, es strahlt, es spielt mit den Schatten.
Die künstlerische Gestaltung stammt vom Karlsruher Bildhauer Emil Sutor. Auch seine Figuren sind geprägt vom Krieg. Sie wirken so ernst, als rängen sie beständig mit der Frage, wie Gott all das Leid zulassen kann. Ein paar Jahre später ist Sutor in die NSDAP eingetreten.

Das Mutterkloster der Franziskaner in Fulda wurde von den Nazis enteignet, die Brüder flohen nach Mannheim. Nur ihr „Guardian“ Thaddäus Brunke wurde ins KZ Dachau deportiert, wo man ihn verhungern ließ. Ein „Stolperstein“ an der Eingangstür zu St. Bonifatius erinnert daran.

Pater Konstantin Fuchs machten nach dem Krieg Bonifatius zum Epizentrum der experimentellen Musik.
1946 der furioser Neuanfang: Mit Pater Konstantin Fuchs kam frischer Wind in die Neckarstadt. Oder besser: Ein Orkan. Pater Konstantin war ein mitreißender Prediger; die riesige Bonifatiuskirche füllte er bis auf den letzten Platz. Internationale Berühmtheit erlangte der Pater durch sein „Tonstudio“, wohin die Crème de la Crème der experimentellen Musik pilgerte. Jetzt war St. Bonifatius tatsächlich Avantgarde. 2002 ist der Pater Konstantin gestorben. Mit 92 Jahren.
Heute leben im Pfarrhaus noch vier Franziskaner. Sie kümmern sich um etwa 13000 Katholiken aus 70 Nationen. Es ist ein kunterbuntes Volk. Aus allen Himmelsrichtungen.
Kirchenfakten |

Name: St. Bonifatius Adresse: Friedrich-Ebert-Straße 34, 68167 Mannheim Konfession: katholisch Baujahr: 1913-1915 Baustil: Jugendstil Kunstschätze: – Hochaltar aus schwarzem Kunstmarmor und Kreuzigungsgruppe mit Baldachin von Emil Sutor (1931) – Marien- und Franziskus-Statue, Kreuzweg und Antoniusgruppe von Emil Sutor – St. Bonifatius-Statue aus Muschelkalk von Gisela Bär (1959) an der Fassade – Zelebrationaltar aus Granit, Sitzgruppe und Apostelkreuze von Gisela Bär (1967) – Sechs Glocken Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet Kontakt: Katholische Kirchengemeinde Mannheim-Neckarstadt, Friedrich-Ebert-Anlage 34, 68167 Mannheim Telefon: 0621-30085300 E-Mail: gemeinde@kath-ma-neckarstadt.de Internet: www.kath-neckarstadt.de |