Heidelberg-Neuenheim: Eine Kirche des Südens

Man sagt, die Fassade von St. Raphael erinnere an den Dom von Pisa.

Es muss wie ein Rausch gewesen sein. Euphorie pur: Das Zweite Vatikanische Konzil hatte auf die Katholiken eine ähnliche Wirkung wie der Mauerfall auf die Bürger der DDR. Jetzt konnte man die Welt noch einmal völlig neu erschaffen! Kaum jemand hat dieses Vorhaben so radikal verwirklicht wie die Gläubigen in Heidelberg-Neuenheim. 1967 räumten sie ihre neoromanische Kirche komplett leer.

Selbst der wertvolle Schnitzaltar landete im Feuer, ein unwiederbringlicher Verlust. Jahrzehnte hat es gedauert, bis die Eleganz nach St. Raphael zurückgekehrt ist. Heute sieht die Basilika zwar anders aus als früher, aber sie strahlt wieder. Wie sich das gehört im nobelsten Stadtteil Heidelbergs.

Die Decke leuchtet wie im Mittelalter in Lapislazuli-Blau.

Neoromanik ist ein seltener Baustil. Vielleicht wegen seiner Verspieltheit.

St. Raphael ist eine Kirche des Südens. Heiter und federleicht, aus gelbem Sandstein kombiniert mit gebranntem Klinker. Die Fassade ist reich gegliedert mit Blendbögen, Pilastern und Heiligenfiguren. Man sagt, das Gotteshaus erinnere an den Dom von Pisa. Und sein eleganter Turm, 47 Meter hoch, könnte auch in Venedig stehen. Die Nonchalance jedoch, die St. Raphael ausstrahlt, gibt’s nur in Neuenheim: Statt sich brav zwischen die Villen einzureihen, tritt die Kirche einfach ein Stück zurück und umgibt sich mit einem eigenen Park.

Neoromanik ist ein seltener Baustil. Vielleicht wegen seiner Verspieltheit. Architekt Ludwig Maier, von 1888 bis 1915 der Leiter des Erzbischöflichen Bauamts in Heidelberg, jedenfalls prallte in Freiburg gegen fest verschlossenen Türen, als er versuchte die Bischöfe für diese federleichte Bauweise zu begeistern. Die Exzellenzen bestanden auf Neugotik in Neuenheim.

Das Zentrum des Chors markiert ein expressionistisches Kreuz.

Der Baron bot an, eine gewaltige Summe zu spenden, wenn die Kirche den Namen seines verstorbenen Sohnes erhielte: Raphael.

Doch da waren glücklicherweise Baron Frédéric von Erlanger und seine Gattin vor. Das gräfliche Paar residierte in der Bergstraße und trauerte um sein Sohn Raphael. Der Professor der Zoologie war im Alter von nur 32 Jahren verstorben. Der Baron offerierte dem Erzbistum eine gewaltige Spende, wenn die neue Neuenheimer Kirche im „italienischen“ Stil erbaut würde und den Namen seines Sohnes trüge. Das Ehepaar von Erlanger hat später auch den Schnitzaltar gestiftet, der so schmählich im Feuer endete.

Die Originalausstattung von St. Raphael orientierte sich an altchristlichen Vorbildern. Den Chor dominierte der kostbare Altar von Alfons Marmon, flankiert von mehreren Seitenaltären.

Das ungewöhnlich breite Langhaus wird von Säulenarkaden umrahmt.

Das ungewöhnlich breite Langhaus fasste 1300 Gläubige und wird bis heute von eleganten Säulenarkaden umrahmt.

Die Fenster in den Obergaden sind künstlerisch gestaltet, je nach Sonneneinfall schillert das Kirchenschiff in allen Farben des Kaleidoskops. Die Weihe der Basilika am 16. Oktober 1905 markierte zugleich die Rückkehr des katholischen Glaubens nach Neuenheim. In den 250 Jahren davor mussten die Katholiken im Exil in Handschuhsheim beten.

Im Zentrum des neuen Chors markiert ein modernes Kreuz auf einer gespaltenen Platte. An hellen Tagen durchflutet sie das Licht der Auferstehung.

Das Jahr 2004. Fast 40 Jahre waren seit dem Kahlschlag vergangen. Alle hatten längst genug von der Ödnis des leeren Chors. Man wünschte sich ein neues Gesicht für St. Raphael, das sich aber deutlich vom ganz alten unterscheiden sollte. Die Lösung: Zeitgenössische Kunst. Eine weite runde Steinbank umfasst heute den modernen Altar wie einen Edelstein.

Der Engel Gabriel bei Maria ist das letzte Relikt des einstigen Hochaltars.

Das Zentrum des Chors markiert ein expressionistisches Kreuz, das der Priesterkünstler Udo Körner geschaffen hat. Es ist sein bestes Werk. Man sieht den Gekreuzigten auf einer Bronzeplatte, die gerade auseinander bricht. Durch dem Spalt flutet das Licht der Auferstehung ins Kirchenschiff.

Jedes Jahr zur Weihnachtszeit kehren auch die beiden Teile des verbrannten Schnitzaltars in die Kirche zurück, die man in letzter Sekunde vor dem Feuer gerettet hat. Man sieht die Könige an der Krippe und den Erzengel Gabriel bei Maria. Es sind ergreifende Darstellungen.

Kirchenfakten
Name: St. Raphael
Adresse:
 Werderstraße 51, 69120 Heidelberg
Konfession: katholisch
Baujahr: 1905
Baustil: Neoromanik
Kunstschätze: 
– Modernes Bildrelief „Schrei und Wolke“ von Udo Körner im Chor
– Torso eines Wegkreuzes von 1747
– spätgotische Mondsichelmadonna
– Bronzetaufstein von Friedo Lehr (1967)
– Epitaph für Raphael Slidell, Freiherr von Erlanger
– Kanzel von Carl Bauer (1939) 
– Marmorpieta von Wilhelm Achtermann (1929)
– Fensterzyklus mit der Tobiasgeschichte von Willi Oeser (1954)
– Kreuzwegbilder und Engelmosaiken von Willi Oeser
– Moderne Portal-Lünetten von Christiane Grimm
– Orgel von Hendrik Ahrend, Leer. Baujahr 2016. 
– Reste des ehemaligen Hochaltars aus der Werkstatt Marmon in Sigmaringen befinden sich im Museum für Sakrale Kunst an der Heidelberger Jesuitenkirche
Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet
Kontakt: Pfarrbüro St. Raphael, Werderstraße 51, 69120 Heidelberg
Telefon: 06221-4352-420
E-Mail: st.raphael@kath-hd.de
Internet: www.stadtkirche-heidelberg.de/st-raphael

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