Wiesloch: Der Hort der zerbrochenen Träume

Nirgendwo sonst ist eine Kapelle so wichtig wie im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden.

Die Eingangstür geht unentwegt, doch kein Laut ist zu hören. Die Menschen betreten die Kapelle leise, fast schüchtern. Sie nehmen Platz und verharren eine Weile. Um zu meditieren? Zu beten? Wer weiß? Dann entzünden sie eine Kerze und verschwinden wieder im weiten Park des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden in Wiesloch.

Nirgendwo sonst ist eine Kapelle so wichtig wie hier, wo jeder Patient um einen zerbrochenen Lebenstraum trauert. Nur das Wort „Kapelle“ passt nicht so ganz. Heilig Kreuz, wie die Katholiken das ökumenische Gotteshaus nennen, ist eine veritable Kirche. Mit barocker Ausstattung und der Eleganz eines Stadttheaters.

1903 gab der Großherzog ein Musterkrankenhaus in Auftrag: Mit viel Licht, Luft und 1000 Patienten.

Psychiatrische Kliniken sind ein Ergebnis der Industriellen Revolution. Solange die Menschen noch auf dem Land gelebt haben, konnten sie ihre Angehörigen selbst betreuen. Doch die lauten, engen Städten, wohin die Fabriken lockten, ließen keinen Raum mehr für Pflege. Man brachte diese Menschen jetzt zur „Irrenfürsorge“, die völlig überfordert war.

Den Chor schmückt feinster Barock aus den Beständen der Kurfürsten von Mannheim.

1903 gab der badische Großherzog daher den Bau eines Musterkrankenhauses in Auftrag. Eine Klinik mit viel Licht, Luft und mehr als tausend Patienten. 28 Gemeinden bewarben sich um die Ansiedlung. Wiesloch gewann. Wegen der guten Verkehrsanbindung, dem milden Klima und dem beruhigenden Auf und Ab der Hügel im Kraichgau.

56 Pavillons liegen verstreut in einem Park. Eher ein Idyll denn ein Sanatorium.

Die „Wilhelmshöhe“, 1914 weitgehend fertig, war ein Idyll. 56 Pavillons lagen verstreut in einem Park mit geschwungenen Spazierwegen. Kein Gebäude glich dem anderen. Die Schlafsäle besaßen Spezialfenster, die viel frische Luft ins Haus ließen. Eine wirksame Vorbeugung gegen Infektionskrankheiten. Ärzte und Pfleger zogen in Scharen nach Wiesloch. Die Stadt war im Glück. Dann begann der erste Weltkrieg.

Von der ökumenischen Kapelle stand bei Kriegsbeginn nur der Rohbau. Erst 1921 erwachte die Baustelle wieder zum Leben. In einer neuen Republik, die die Kosten radikal deckelte. Jetzt  musste man sparen, wo man nur konnte.

Die Orgel umfasst einen gotischen Kruzifixus. Woher er stammt, weiß niemand.

Das vornehme Tonnengewölbe ist nur eine Nachahmung aus Gips. Was man ihm aber nicht ansieht.

Die Heilig-Kreuz-Kapelle ist im Kern eine einfache Holzkirche. Was man ihr aber nicht ansieht, weil ein genialer Stuckateur am Werk war, der zaubern konnte. Die Stahlträger im Dach umschlang er mit einfachem „Hasendraht“. Dann formte er aus Gips täuschend echt ein vornehmes Tonnengewölbe. Federleicht und opulent stuckiert. Eleganter geht’s nicht. Das Pseudo-Gewölbe sorgt zudem für eine hervorragende Akustik. Das SAP-Sinfonieorchester lädt regelmäßig hierher zum Konzert.

Den Chor schmückt feinster Barock. Die Prinzipalien stammt aus der ehemaligen St. Michaels-Kirche in Mannheim. Kurfürst Karl Theodor hat sie 1748 erbauen lassen. Für das „Armen- und Zuchthaus“ in den Planken. 1898 nach dem Abriss der Kirche wanderten die hochwertigen Stücke ins Lager. Von dort kamen sie nach Wiesloch. Das vielleicht wertvollste Kunstwerk der Kapelle jedoch steht auf der Orgelempore, umrahmt von Pfeifen: Ein traumschöner gotischer Kruzifixus. Woher er stammt, weiß niemand.

17 Jahre nach ihrer Einweisung musste die Kapelle erleben, wie die Barbarei von dem Krankenhaus Besitz ergriff.

Die Heilig-Kreuz-Kapelle ist eine Einladung. Zur Stille. Zum Meditieren. Zum Gebet.

1925 wurde die Kapelle im PZN eingeweiht. Nur 17 Jahre später musste sie erleben, wie die Barbarei von dem Krankenhaus Besitz ergriff. Mindestens 2200 Patienten haben die Nationalsozialisten umgebracht. Besonders erschütternd ist die Geschichte der „Kinderfachabteilung“. Trotz des verzweifelten Widerstandes der Eltern wurden behinderte Kinder dorthin zwangseingewiesen. Und ermordet. 

Ein Mahnmal erinnert heute an die Opfer der NS-Diktatur. Seit 2015 gibt es auch ein Denkmal für die toten Kinder. Eine von Rosen gesäumte Spirale führt von Namen zu Namen. Den Weg pflastern kleine Fußabdrücke.

Kirchenfakten

Name: Heilig Kreuz
Adresse:  Psychiatrisches Zentrum Nordbaden, Heidelberger Str. 1a, 69168 Wiesloch
Konfession: ökumenisch
Baujahr:  1925
Baustil: Jugendstil
Kunstschätze
– Barockaltar und  Barockkanzel (um 1751) aus der ehemaligen Michaelskapelle in Mannheim
– barocke Gemälde von Franz Anton von Leydensdorff
– barocke Skulpturen von Johann Matthäus van den Branden
– spätgotischer Kruzifixus um 1500, unbekannter Herkunft
Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet
Buchtipp: Hansi Rau: Spaziergang im Park des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden, Verlag Regionalkultur ( 9.90 Euro)
Kontakt: 
Internet: www.pzn-wiesloch.de
1. Evangelisches Pfarramt, Haus 57 (West)
Telefon: 06222-552185
E-Mailevang.pfarramt@pzn-wiesloch.de
2. Katholische Seelsorge, Haus 100
Telefon: 06222-552186
E-Mail: hl.kreuzpzn@kath-wiedie.de



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