Schriesheim-Altenbach: Wie eine Rakete Gottes

36 Meter schießt der Campanile von Altenbach hinauf in den Himmel.

Ganz egal, ob man elegant von Wilhelmsfeld hinuntergleitet oder von Schriesheim steil hinaufsteigt. St. Michael trifft einen immer wie ein Schock. 36 Meter hoch schießt der spitze Turm der katholischen Kirche von Altenbach in den Himmel hinauf. Eine Rakete Gottes, umringt von den Einfamilienhäusern des ehemaligen Köhlerdorfes.

Neben dem dreieckigen Campanile erhebt sich ein Zelt aus Sichtbeton mit riesigem Dach und extravaganter Lichtführung. St. Michael gleicht einer begehbare Skulptur. Nur die Siebzigerjahre konnten solch ein Gotteshaus erschaffen. Zu Besuch im Vorderen Odenwald. Wo die Avantgarde zu Hause ist. 

Unten die Milde der Bergstraße, oben die Einsamkeit des großen Waldes.

Altenbach nennt sich gern das „Tor zum Odenwald“. In Wirklichkeit liegt die Gemeinde jedoch schon mittendrin im mystischen Reich des roten Sandsteins. Sieben Kilometer trennen das 1900-Seelen-Dorf von Schriesheim, wohin Altenbach 1972 eingemeindet wurde.

Die steile Landesstraße 596a verbindet seitdem zwei Stadtteile, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Unten die Milde der Bergstraße, oben die raue Einsamkeit des großen Waldes. Erst seit 1976 gibt es in Altenbach Kanalisation.

Der rohe Beton mit all seinen Fehlern bleibt sichtbar. Wie im menschlichen Leben.

Eine Stunde dauerte der Weg zur Kirche. Einfach. Wenn man gut zu Fuß war.

1401 wurde das Dorf erstmals schriftlich erwähnt. Eher beiläufig. Weil hier nur Holzfäller und Köhler hausten. Zum Sonntagsgottesdienst mussten die Altenbacher jahrhundertelang nach Heiligkreuzsteinach pilgern. Bei Wind und Wetter, Schnee und Eis. Eine Stunde brauchte man für den Weg. Einfach. Wenn man gut zu Fuß war.

Kein Wunder, dass der Ruf nach einem Kirchlein im Dorf immer lauter wurde. Man begann sogar zu sammeln. Stolze 11500 Mark konnte die katholische Gemeinde zuschießen, als das Erzbistum Freiburg endlich eine Kapelle bewilligte. 1898.

Zeitgleich wurde auch die evangelische Kirche gebaut, zwei Straßen weiter. Die beiden Gotteshäuser glichen sich wie Schwestern: Historismus, roter Sandstein, Satteldach, ein Dachreiter mit Glöckchen. Der Kaplan aus Schriesheim kam zum Gottesdienst herauf. Altenbach im Glück.

Fragmente aus der Sandsteinmauer der alten Kirche.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brach eine Flüchtlingswelle über Altenbach herein. Das Kapellchen platzte aus allen Nähten.

Fünfzig Jahre lang. Dann brach nach dem Zweiten Weltkrieg die Flüchtlingswelle aus dem Osten über Altenbach herein. Die Zahl der Katholiken verdreifachte sich, die Kapelle platzte aus allen Nähten. Ein unhaltbarer Zustand. Am 17. April 1961 wurde das alte Kirchlein abgerissen. Zwei Jahre später erhob an gleicher Stelle eine avantgardistische Betonskulptur mit spektakulärem Turm und 2,80 Meter großem Wetterhahn: Neu-Sankt-Michael.

Für Architekten ist Beton ein Traum. Flüssig lässt er sich in jede Form gießen, getrocknet ist er hart wie Stahl.

Die raue Oberfläche des Beton bleibt sichtbar. Mit allen Fehlern und Verletzungen.

Star-Architekt Rainer Disse aus Karlsruhe hat das spektakuläre Gebäude entworfen. Im Stil des „Brutalismus“. Das Wort leitet sich ab vom „béton brut“ für Sichtbeton. Für Architekten ist dieser Werkstoff ein Traum. Flüssig lässt sich Beton in jede Form gießen, getrocknet ist er hart wie Stahl.

Die Altenbacher Kirche ist ein Sechseck, über das ein gewaltiges Dach wie ein Zelt hinauskragt.  Selbstverständlich unverputzt. Damit die raue, rohe Oberfläche des Beton mit all ihren Fehlern und Maserungen, Verletzungen und Einschlüssen sichtbar bleibt. Wie im menschlichen Leben.

An einem Sommerabend schillert St. Michael wie ein Regenbogen.

Fenster im herkömmlichen Sinn sucht man in St. Michael vergebens. Die Kirche wird beleuchtet allein durch Betonlamellen und farbiges Betonglas. Was im Laufe der Tages- und Jahreszeiten zu sensationellen Lichtspielen führt.

Farbiges Glas sorgt für faszinierende Lichtspiele.

An einem schönen Sommerabend beispielsweise schillert St. Michael in allen Farben des Regenbogens.

In die fensterlosen Seitenmauern hat der Architekt Fragmente der roten Sandsteinmauern der alten Kapelle eingelassen. Mit etwas Geduld entdeckt man Zusammengehöriges. Dann schließt sich unter der hohen Spitze der Kreis.

Kirchenfakten
Name: St. Michael
Adresse: Kirchgasse, 69198 Schriesheim-Altenbach
Konfession:  katholisch
Baujahr:  1962
Baustil: Moderne
Kunstschätze: 
– Moderner Taufstein und Altar aus Buntsandstein
– Buntsandstein-Wand mit Ornamenten aus der alten Kirche
– Zwölf moderne Künstlerfenster aus buntem Betonglas von Karl-Heinz Wienert mit Visionen der Geheimen Offenbarung des Johannes
– Sehr wertvolle alte Krippe in der Weihnachtszeit
Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet
Kontakt: Kirchengemeinde Schriesheim-Dossenheim,
Pfarrer-Eberhard-Platz 2, 69198 Schriesheim
Telefon: 06203-61293
E-Mail: schriesheim@sesad.de
Internet: www.sesad.de

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