Heidelberg-Ziegelhausen: Vierzig Stufen zum Himmelszelt

St. Teresa ist die jüngste katholische Kirche von Heidelberg.

Es ist jedes Mal eine kleine Wallfahrt. Vierzig steile Stufen führen hinauf nach Sankt Teresa, der katholischen Kirche von Ziegelhausen. Man steigt und steigt, höher und höher, bis man endlich eine kunterbunte Paradiespforte erreicht. Sie öffnet sich in ein Gotteshaus, das aussieht wie ein riesiges Zelt.

Mit einer Spitze aus Glas, in der – für jedermann sichtbar – die Glocken schwingen. Die schmalen Fenster erinnern an die spanische Stadt Avila, wo die heilige Teresa gelebt hat. Sonnengelb mit himmelblau. Dazu viel helles Holz, weiße Felsbrocken und ein Gipfelkreuz neben dem Altar. Mehr Symbolik geht nicht.

Als Ziegelhausen 1975 nach Heidelberg eingemeindet wurde, setzte an den Sonnenhängen ein wahrer Bauboom ein.

St. Teresa gleicht einem „Zelt Gottes“, in dem die Bänke den Altar umrahmen.

Ziegelhausen kam spät zu Heidelberg. Erst 1975 wurde das Bauerndorf, das jahrhundertelang die Wäsche der Stadt gewaschen hat, eingemeindet. Woraufhin ein wahrer Bauboom einsetzte. Bungalows und Einfamilienhäuser wuchsen an den Südhängen empor. Vor allem Professoren und Ärzte nutzten die Gelegenheit, für ihre Familien einen Platz an der Sonne zu ergattern. Im Nu war das einstige „Wäscherinnendorf“ zu einem gutsituierten Stadtteil geworden. 

Bei solch einer erstaunlichen Metamorphose konnten die Kirchen natürlich nicht tatenlos daneben stehen. Die evangelische Matthäusgemeinde errichtete flugs ein modernes Kirchenzentrum im Mühlweg. Die Katholiken erwarben nur wenige Meter weiter einen großen Bauplatz am Steilhang. Man dachte modern und träumte von Ökumene. Gemeinsame Gottesdienste, Grill- und Diskussionsabende, Osterfeuer und Weihnachtsfeier. Das barocke St. Laurentius-Kirchlein im alten Ortskern sollte verkauft werden. 

Im neuen Gemeindehaus sollten sich unzählige Gruppen tummeln. Die Kirche als Heimat. Der Traum der Achtziger.

Die Belichtung erfolgt nur von oben. In den Fenstern leuchtet die Sonne Spaniens.

Voll Tatendrang gingen Ziegelhausens Katholiken ans Werk. Ein neues Pfarrhaus entstand, ein neues Pfarrbüro, ein stattliches Gemeindehaus. Alles im Stil der Achtziger Jahre. Flachdach, Beton, Klinker. Auch die „Himmelsleiter“ mit den vierzig Stufen stammt aus dieser Zeit. Vierzig ist eine heilige Zahl. Vierzig Tage dauerte die Sintflut. Vierzig Jahre wanderte das Volk Israel durch die Wüste. Vierzig Tage lagen zwischen der Auferstehung Jesu und seiner Himmelfahrt. 

Jetzt fehlte nur noch die Kirche. Groß sollte sie werden. Stattlich. Mit Platz für mindestens 800 Gläubige. Baulich eng verbunden mit dem Gemeindehaus, in dem sich bald unzählige Gruppen tummeln sollten. Vom Yogakreis bis zum Kirchenchor, von der Jugendband bis zum Männerstammtisch. Die Kirche als Heimat. Der Traum der Achtziger. 

Die alte Kirche St. Laurentius im Dorf.

Konnte man wirklich so viel Geld für eine neue Kirche ausgeben, wenn in Afrika die Kinder elend verhungerten?

Er zerplatzte jäh. Weil plötzlich furchtbare Bilder vom Hunger in Afrika über die Fernsehschirme flimmerten. Man sah bleistiftdünne Ärmchen und unförmig aufgeblähte Bäuche. Und man sah tote Kinder am Straßenrand, schwarz vor lauter Mücken.

Ziegelhausens Katholiken schlug das Gewissen. Konnten sie wirklich so viel Geld für eine neue Kirche ausgeben, wenn in Afrika die Kinder elend verhungern? Wo blieb da das Christentum? So weit gedacht, begab sich die katholische Gemeinde zur Bank und spendete ihr Geld für Afrika.

Zwanzig Jahre vergingen. Das Gemeindezentrum oben im Mühlweg wurde rege genutzt, doch zum Gottesdienstversammelten sich die Katholiken noch immer in St. Laurentius. Mit zunehmend schlechter Laune. Der Verkehr auf der inzwischen ausgebauten Peterstaler Straße hatte extrem zugenommen. Parkplätze für Kirchenbesucher waren rar, das Kirchlein klein, die Gemeinderäume weit weg. Dabei gab es den Bauplatz für die Kirche doch noch. Oben am Berg. Warum nicht noch einmal einen Anlauf wagen?

St. Teresa gehört zu den letzten Kirchen, die im Erzbistum Freiburg gebaut wurden. Weitere wird es in absehbarer Zeit nicht geben.

Pfarrhaus und Gemeindezentrum entstanden schon in den 1980er Jahren.

Der rührige Pfarrer Paul Rudigier – er ist kürzlich verstorben und wird in Ziegelhausen noch immer verehrt – schilderte in einem Brief an den Erzbischof die Situation. Und das Wunder geschah. 1995 erhielt die Gemeinde tatsächlich das Geld für ein neues Gotteshaus. St. Teresa gehört zu den letzten Kirchen, die im Erzbistum Freiburg gebaut wurden. Weitere wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben.

Der zweite Entwurf für die Kirche am Berg war deutlich bescheidener als der erste. Statt für 800 Gläubige plante man nur noch für 300. Einen Turm hatte das Erzbistum ausdrücklich untersagt. „Für uns Architekten war es wichtig, dass kein Stilbruch zwischen den bereits vorhandenen Bauten und der neuen Kirche entstand“, sagt Werner Wolf-Holzäpfel, der ehemalige Leiter des Erzbischöflichen Bauamts. Heute ist er im Ruhestand. „Deshalb lehnten wir uns stark an den Stil der achtziger Jahre an.“

Kaum ein Mensch merkt, dass die Kirche zwanzig Jahre jünger ist als das Ensemble.

Was so verblüffend geglückt ist, dass ein Fremder erst auf den dritten Blick bemerkt, dass die Kirche zwanzig Jahre jünger ist als das übrige Ensemble. Wenn er es überhaupt merkt. 

Zwei dicke Panzerglasscheiben verhindern, dass die tonnenschweren Glocken ins Kirchenschiff stürzen.

Im Mittelpunkt des Ziegelhäuser Kirchenzentrums liegt der große Kirchplatz. Von ihm aus gelangt man entweder in die Gemeinderäume mit dem weitem Vestibül, der Küche, dem Saal und dem Jugendraum. Oder in die Kirche.

Sie ist benannt nach der mittelalterlichen Mystikerin Teresa von Avila, die im 16. Jahrhundert den Orden der Karmelitinnen radikal reformiert hat. 1970 wurde Teresa als erste Frau in den Rang der Kirchenlehrerin erhoben. „Das passt zur Universitätsstadt Heidelberg“, befand Pfarrer Rudigier bei der Kirchenweihe 1997. Und irgendwie passt es auch zum „neuen“ Ziegelhausen.

Mit einer Spitze aus Glas schwingen gut sichtbar die Glocken.

St. Teresa, das „Zelt Gottes“, ist eine moderne und eine schützende Kirche zugleich. Kaum Beton, dafür viele helles Holz. Die Bänke umrahmen den Altar von drei Seiten, wodurch „das Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird“ (Pfarrer Rudigier).

Die Belichtung erfolgt ausschließlich von oben her durch die gläserne Glockenstube. Es ist schon ein aufregendes Erlebnis, wenn man in der Bank sitzt und sieht, wie direkt über dem Kopf die tonnenschwere Glocken hin und her schwingen. Zwei Panzerglasscheiben, je drei Zentimeter dick, verhindern, dass sie je ins Kirchenschiff stürzen.

Das gigantische abstrakte Altarbild zeigt die Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor.

1997 konnte Erzbischof Zollitsch endlich die neue Ziegelhäuser Kirche weihen.

5000 Kubikmeter Erdreich mussten abtransportiert werden, um den Bauplatz am Steilhang zu ebnen. Eine 1200 Quadratmeter große Bodenplatte aus Beton verteilt das Gewicht der Wände und des Glockenturms auf eine breite Fläche. „Fast dreißig Mal mussten sich die Betonmischer durch den schmalen Mühlweg quälen, um die Platte zu gießen“, erinnert sich Architekt Wolf-Holzäpfel. 

Der Künstler Hanspeter Münch saß derweil im Flugzeug nach Avila. Er wollte sich von der Heimat der heiligen Teresa inspirieren lassen. Münch kehrte begeistert zurück und verarbeitet seine Eindrücke von den sonnendurchglühten Hügeln in dem schmalen Fensterband, das den Ziegelhäuser Kirchenraum umschließt. Münchs gigantisches abstraktes Altarbild zeigt die Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor.

Der Prophet Elias trägt den Ambo.

Die Altarinsel stellt die Spitze eines Berges dar. Mit Felsen und Gipfelkreuz.

Und im israelischen Hebron, nahe dem Berg Karmel, hat der Bildhauer Bernd Stöcker den ungewöhnlichen hellen Naturstein für die Prinzipalien gefunden. Wenn man es weiß, erkennt man, dass die Altarinsel die Spitze eines Berges darstellt. Mit Felsen und Gipfelkreuz. Der Prophet Elias trägt den Ambo. 

Die  alte barocke Laurentiuskirche wurde verkauft. Ihre Altargemälde schmücken heute die Kapelle in St. Teresa. Pfarrer Paul Rudigier verabschiedete bald nach der Kirchweihe sich in den Ruhestand, einen eigenen katholischen Pfarrer haben die Ziegelhäuser heute nicht mehr. Die Gemeinde gehört inzwischen zur Stadtkirche Heidelberg.

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