Mannheim-Neuostheim: Luthers Bibel neben dem Tabernakel

St. Pius ist die erste komplett ökumenische Kirche der Region.

Auf den ersten Blick sieht St. Pius aus wie eine normale katholische Kirche aus den Sechzigerjahren. Lichtdurchflutet, federleicht. So wie man es heute wieder mag. Doch wer näher tritt, stutzt. Warum steht vor dem Tabernakel kein Altar sondern ein Taufstein? Was haben all die Ikonen zu bedeuten? Und wieso liegt auf dem Pult eine Lutherbibel?

Berechtigte Fragen. Die verblüffende Antwort: Weil St. Pius in Mannheim-Neuostheim die erste komplett ökumenische Kirche der Region ist. Gemeinsam genutzt von Katholiken, Protestanten und vom „Ostkirchlichen Zentrum“. Ein Gott, ein Glauben, ein Kirchengebäude. Willkommen in der Zukunft.

Ein Kaltlufteinbruch kurz vor Weihnachten setzte die evangelische Thomaskirche unter Wasser – Totalschaden.

Die katholische Kirche von Neuostheim wurde 1956 geweiht.

Neuostheim ist ein kleiner Mannheimer Stadtteil – und ein vornehmer. Gerade mal 3000 Menschen leben hier, viele von ihnen in Villen mit großen Gärten. Der Neckar liegt direkt vor der Tür. Wie auch der Luisenpark und der Flugplatz. Man kennt sich. Und man hilft sich. Vor allem in der Not.

So wie damals an Weihnachten 2009. Ein Kaltlufteinbruch ließ das Thermometer auf minus 16 Grad sinken. Die Wasserleitung der evangelischen Thomaskirche aus den 1950er Jahren platzte. Totalschaden. Die Stadtsynode konnte – und wollte – sich die Sanierung des kleinen Kirchleins nicht leisten. Weshalb Neuostheims Katholiken ihren Glaubensgeschwistern Asyl anboten. In der nahegelegenen St. Pius-Kirche.

Je näher sich die Konfessionen kamen, desto mehr wurde der Kirchenraum zum Problem.

Die Glaswaben erzeugen zauberhafte Lichtspiele.

Jahre vergingen. Die beiden Konfessionen gewöhnten sich aneinander. 2015 wurde eine ökumenische Vereinbarung unterschrieben für die gemeinsame Nutzung der Kirche und des Kindergartens.

Doch je näher sich die Konfessionen kamen, desto mehr wurde der Kirchenraum zum Problem. St.Pius, 1955 erbaut, ist ein Rechteck aus Stahlbeton. Radikal modern. Unzählige Waben aus farbigem Glas hüllen den Inneraum in buntes Licht. Der Tabernakel und der Altar standen ursprünglich erhöht auf einem Podest. Davor Kniebänke in durchgehenden Reihen. Katholischer geht’s nicht. Wie daraus eine ökumenische Kirche machen?

Eine gewaltige Maschine hat die beiden Altäre zermahlen, damit man daraus einen gemeinsamen Altar gießen konnte.

Im neuen Altar mischen sich die Steine der alten Altäre.

Es hat lange gedauert, bis ein Kompromiss gefunden war. Die Kniebänke haben erstaunlicherweise überlebt. Allerdings stehen sie jetzt locker um den Altar herum, der in die Mitte der Kirche gewandert ist. Und dabei seine Form und seine Farbe komplett verändert hat. Aus einem grauen Muschelkalk-Oval ist ein skupturaler Block mit roten Einsprengseln geworden. Die Flecken stammen vom Sandsteinaltar aus der Thomaskirche. Eine gewaltige Maschine hat die beiden Gabentische zermahlen, so dass der Steinmetz daraus einen neuen Altar gießen konnte. In St. Pius, sagen die Neuostheimer, gibt es kein Nebeneinander mehr sondern nur noch ein Miteinander.

Auf dem Podest vor dem Tabernakel steht jetzt der Taufstein. Als zentrales Zeichen der Ökumene. Die Taufe ist das einzige Sakrament, das alle Konfessionen anerkennen. „Ein Herr, eine Taufe, ein Glaube.“ So steht es beim Apostel Paulus. Und jetzt auch überall in St. Pius. Sogar ganz oben im freistehenden Campanile auf den beiden Ökumeneglocken.

An jedem dritten Sonntag im Monat feiert Neuostheim den Gottesdienst im byzantinisch-katholischen Ritus.

Einmal im Monat feiert Neuostheim im byzantinisch-katholischen Ritus.

Besonders intensiv begegnet man dem Paulinischen Dreisatz in den Glasfenstern der neuen Kapelle an Eingang. Das Kirchlein hat die Form eine Ellipse und dient als Treffpunkt für Konfirmanden, Taizésänger oder den Rosenkranzkreis. An jedem dritten Sonntag jedoch wird die Kapelle zum Hauptdarsteller. Dann feiert Neuostheim im byzantinisch-katholischen Ritus. Mit Ikonen, Weihrauch und viel Gesang.

Das Ostkirchliche Zentrum „Kyrill und Methodius“ komplettiert das Ökumenische Spektrum in St. Pius. Wo früher die Marienstatue stand, hängt jetzt eine Marienikone. Willkommen in der Zukunft.

Kirchenfakten
Name: Ökumenekirche St. Pius
Adresse: Holbeinstraße, 68163 Mannheim
Konfession: katholisch/evangelisch/katholisch-orthodox
Baujahr: 1956
Baustil: Moderne
Kunstschätze:
– lichtdurchlässige Außenhaut aus farbig verglasten Betonwaben
– farbiges Kreuz-Mosaik mit Baldachin von Harry McLean (1963)
– Künstlerfenster von Harry McLean unter der Empore (1963)
Peter-Vier-Orgel von 1992 (20 Register, zwei Manuale und ein Koppelmanual)
– 5 Glocken (zwei Schillingglocken aus der ehemaligen Thomaskirche), eine Glocke aus Lutynia in Polen), zwei Ökumeneglocken von 2019
– moderne Marienikone
Öffnungszeiten: nach Vereinbarung
Kontakt: Pfarrbüro St. Pius,
Böcklinstraße 53, 68163 Mannheim
Telefon: 0621 / 30085-913
E-Mail: pfarrbuero-st.pius@kathma-johannes23.de
Internet:www.kathma-johannes23.de
Oder:
Thomasgemeinde Mannheim-Neuostheim
Böcklinstraße 53, 68163
Telefon: 0621-28000-148
E-Mail: thomasgemeinde@ekma.de
Internet: www.thomas.ekma.de

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