Mosbach: Die Zuflucht der Schatten

Die Mosbacher Gutleutkapelle ist
eine der schönsten „Siechenkirchen“
.

Vielleicht war die Klapper das Schlimmste. Drei schmale Bretter, die ein Leprakranker bei jedem Schritt schlagen musste. Damit ihm kein Mensch je wieder nahe kam. Klapp. Klapp. Klapp. Das Geräusch lebenslanger Isolation.

Lepra war im Mittelalter unheilbar, aber man konnte mit der Krankheit noch viele Jahre leben. Die Mosbacher Pfalzgräfin Johanna dauerten die klappernden Schatten so sehr, dass sie ihnen ein Kirchlein bauen ließ. Reich geschmückt mit Wandmalereien. Ob Johanna die „Gutleutkapelle“ selbst noch gesehen hat, weiß man nicht. Sie starb 1444 mit 31 Jahren, bei der Geburt ihres neunten Kindes. Doch die Gräfin hat ein Schmuckstück hinterlassen, dessen Aura bis heute berührt.

Wie die Lepra nach Mitteleuropa gekommen ist, weiß niemand. Wie sie wieder verschwand auch nicht.

Der lichte Chor strahlt
wie ein Stück vom Himmelreich
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Mosbach im 15. Jahrhundert. Ein putzmunteres Städtchen an der Fernstraße nach Würzburg. Man lebte in stattlichem Fachwerk, das Handwerk und der Handel blühten, nur die Hygiene war noch nicht erfunden. Weshalb die häuslichen Abwässer einfach auf die Straßen geschüttet wurden. An den Gestank hatten sich die Menschen längst gewöhnt.

Immerhin war das Baden gerade in Mode gekommen. Das Wasser des Kandelbachs leitete man in große Zuber, worin Männlein und Weiblein gemeinsam Platz nahmen. Die „Bader“ wuschen, massierte und frisierten ihre Kundschaft. Und sie achteten auf verdächtige Geschwüre.

Wie die Lepra nach Mitteleuropa gekommen ist, weiß niemand. Auch nicht, wie sie wieder verschwand. Lepra wird von einem Bakterium ausgelöst, ist nur schwach ansteckend und hat eine lange Inkubationszeit. Bis zu fünf Jahren kann es dauern, ehe man Symptome bemerkt. Doch das wusste das Mittelalter noch nicht. Weshalb man Kranke offiziell für tot erklärte. Sie musste sich in einen Sarg legen, auf den drei Schaufeln Erde geworfen wurden. Dann feierte man ihre Totenmesse. Eine schauerliches Ritual.

Die Mosbacher Gutleutanlage gehört zu den am besten erhaltenen Ensembles in Deutschland.

Schnörkellos gotisch erhebt sich
die Kapelle über den Friedhof
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Die Infizierten lebten fortan im „Gutleuthaus“. Draußen vor den Mauern der Stadt. Woher dieser Namen rührt, ist unklar. Vielleicht glaubte man, dass die Kranken Gutes tun. Indem sie den Gesunden die Möglichkeit geben, sich durch Almosen einen Platz im Himmel zu sichern. Die Gutleuthäuser standen stets an vielbefahrenen Straßen. Wo sich die Kranken ihren Lebensunterhalt erbettelten.

Die Mosbacher Gutleutanlage – zwei Wohnhäuser und das Kirchlein – gehört zu den am besten erhaltenen Ensembles in Deutschland. Vielleicht ist Mosbacher Kapelle sogar das schönste „Siechenkirchlein“.

Schnörkellos gotisch erhebt sie sich über den Friedhof. An den Außenwänden lehnen uralte Grabplatten aus der Stiftskirche. Was wunderbar mit der schlichten Fassade harmoniert. Die spitzbogige Eingangstür datiert erst 1509. Zuvor betrat man die Kirche von Süden her. Sofern man gesund war. Die Leprakranken mussten eine Holztreppe hinaufsteigen und auf einer abgesonderten Empore beten. Dieser Eingang ist heute vermauert.

Hochwertige Fresken erzählen die Passion Jesu. Eine Bibel in Bildern.

Die Leprakranken waren
offiziell für tot erklär
t.

Im Kirchenraum – welch ein Licht! Der gotische Chor strahlt wie ein Vorgeschmack aufs Himmelreich. Sensationell schön auch sein Gewölbe. Die Schlusssteine zieren das Wappen der Pfalzgräfin Johanna, der Tochter des Herzogs von Bayern-Landshut.

Im Langhaus dominiert der „Bildteppich“ an der Nordwand. Hochwertige Fresken erzählen die Passion Jesu. Eine Bibel in Bildern. Die Südwand regieren der Erzengel Michael mit seiner Seelenwaage und ein lebensgroßer Christophorus. Der Wächter über die Fernstraße. Und dann sind da noch die „Rötelkritzeleien“. Kleine Graffitis, die mittelalterliche Pilger hinterlassen haben. Sie zu entziffern ist ein nettes Spiel. Wie Bleigießen. Eine Klapper hat bislang noch niemand entdeckt.

Kirchenfakten
Name: Gutleutkapelle
Adresse: Kapellenweg , 74821 Mosbach
Konfession: katholisch/evangelisch
Baujahr: zwischen 1430 und 1440
Baustil: Gotik
Literatur: Ernst und Dorthee Brüche: Das Mosbach Buch, Laub-Verlag, 1987
Kunstschätze:
– spätgotischgotische Wandmalereien an den Wänden und an der Decke des Chors
– spätgotischer „Bildteppich“ im Kirchenschiff
– wertvolle Epitaphien aus der Stiftskirche an der nörlichen Außenmauer
– Grabplatten aus der Stiftskirche an der südlichen Außenmauer
– „Rötekritzeleien“ im Kirchenschiff
Öffnungszeiten:
Den Schlüssel zur Kapelle erhält man gegen ein Pfand (Personalausweis)
– bei der Tourist Information Mosbach, Marktplatz 4, 74821 Mosbach, Telefon: 06262-9188-0
oder
– beim Steinwerk Fehr, Kapellenweg 4, 74821 Mosbach, 06261-93190
Kontakt: Tourist Information Mosbach, Marktplatz 4, 74821 Mosbach
Telefon: 06262-9188-0
E-Mail: tourist.info@mosbach.de
Internet: www.mosbach.de

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