8. Heidelberger Frauenwallfahrt: St. Anna

Der 11. Juli 2015 war ein blauer Sommertag inmitten eines Meeres von Hitze. Die Temperatur lag in der Frühe bei angenehmen 23 Grad, am Nachmittag kletterte sie auf aushaltbare 30 Grad. Die Luft war frisch und klar, man sah weit. Um 9.34 Uhr hatten wir am Heidelberger Hauptbahnhof die S5 nach Eppingen bestiegen. Um 10.15 Uhr langten wir in Sinsheim-Reihen an.

Das Dorf Reihen hat 2100 Einwohner und gehört zu Sinsheim. Auf einem Hügel im Dorfkern stehen zwei Kirchen, Rücken an Rücken. Die größere ist im Kraichgau immer die evangelische. Im Mittelalter herrschten hier die Ritter, die das Land stark parzellierten und früh reformierten. Seither glaubt man zwischen den Hügeln mehrheitlich protestantisch.

Das zauberhafte kleine katholische Barockkirchlein stammt aus dem Jahr 1764 und ist der Muttergottes geweiht. Leider sind beide Kirchen meist fest verschlossen.

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Scharf rechts vom Seiteneingang der evangelischen Kirche führte ein schmaler, überwachsener Pfad steil hinauf auf den Hügel.  Nach etwa 50 Metern erreichten wir den breiten, geteerten Wanderweg nach Weiler. Noch ein kleiner Aufstieg durch einen Hohlweg, dann ging es die nächsten fünf Kilometer gemütlich auf dem Kamm entlang.

In allen Richtungen lag uns nun der Kraichgau zu Füßen. Es ist eine ruhige, meditative Landschaft.  Hügel reiht sich an Hügel, Wälder sind selten, Ebenen fehlen völlig. Jedes Bild besitzt eine dritte Dimension.

Schon nach kurzer Zeit konnten wir in der Ferne wie eine Fata Morgana über einem Meer aus Raps die Steinsburg erahnen. Unser Ziel.

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Alte knorrige Mostbirn- und Streuapfelbäume sind charakteristisch für den Kraichgau. Leider wird das Obst heute kaum noch geerntet. Die Arbeit ist den Menschen zu mühsam.

Und plötzlich lag er vor uns: Der Steinsberg, mit 333 Metern die höchste Erhebung des Kraichgau. Die trutzige Burg aus Keupersandstein stammt aus der Stauferzeit. Weil die Steinsburg von fast überall zu sehen ist, nennt man sie den „Kompass das Kraichgau“. Zu Füßen der Steinsburg steht die St. Annakapelle. Von hier wirkte sie winzig.

SSchließlich hatten wir es aber geschafft. Voilà die Steinsburg. Sie besitzt den einzigen achteckigen Bergfried nördlich der Alpen. Er überragt die Burg 30 Meter hoch.
 Die Steinsburg war Jahrhunderte lang im Besitz der Freiherrn von Venningen. 1973 kauft die Stadt Sinsheim das mittelalterliche Gemäuer, das zu verfallen drohte. Seither ist die Burg das Wahrzeichen der Stadt. Der Blick von hier oben ist  überwältigend.

Aber wir waren ja nicht wegen des Blicks hier, sondern wegen St. Anna. Ein schöner Fußweg führt zwischen den Weinbergen hindurch zur Kapelle.
 
 St. Anna ist ein barockes Schmuckstück aus dem Jahr 1763, das im vergangenen Juli bereits seinen fünfhundertsten  Geburtstag gefeiert hat. Es ist nämlich verbrieft, dass an dieser Stelle auf dem Steinsberg schon seit 1514 eine Annakapelle stand. Sie hatte anfangs sogar einen eigenen Kaplan.

Der Friede der St.-Annakapelle bei Sinsheim währte jedoch nicht lange. Woran Martin Luther Schuld war. Vier Jahre nach der Weihe des Kapellchens, am 26. April 1518 präsentierte der Reformator bei einer Disputation auf dem Heidelberger Universitätsplatz furios seine neue Theologie. Es war Luthers erster öffentlicher Auftritt nach dem Thesenanschlag.

Unter den gebannten Zuhörern befanden sich auch die Freiherrn des Kraichgau. Zur Stund wurden sie glühende Anhänger der Lutherschen Lehre, und bald glaubte der Kraichgau mehrheitlich lutherisch. Das ist bis heute so geblieben.

1738 konvertierten die Freiherren von Venningen, die Besitzer der Steinsburg, überraschend zurück zum Katholizismus. Mit viel Liebe renovierten sie zehn Jahre lang ihre Hauskapelle, bis St. Anna zum barocken Kleinod geworden war.

Auf dem Hochaltar ist die heilige Anna dargestellt, wie sie mit ihrer Tochter Maria in der heiligen Schrift liest. Überall in dem Kirchlein flattern kleine barocke Putten mit goldenen Flügeln herum. Kein Wunder, dass St. Anna die beliebteste Hochzeitskirche im Kraichgau ist.

Nach einer schönen Andacht und einem guten Mittagessen im Restaurant Steinsburg nahmen wir in Weiler den Bus zurück nach Sinsheim. Von hier brachte uns die S-Bahn nach Heidelberg zurück.


 

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