7. Heidelberger Frauenwallfahrt: Durchbetete Mauern

Der 21. März 2015 brachte das Ende einer längeren vorfrühlingshaften Schönwetterperiode. Die Sonne schien zwar noch bei etwa 13 Grad, aber ein frischer Wind kam auf. Für den Nachmittag waren Regenschauer angekündigt.


Wir nahmen den Regionalexpress Richtung Heilbronn bis zum Hauptbahnhof von Bad Friedrichshall. Von dort erreicht man zu Fuß in etwa zehn Minuten die Neckarbrücke nach Bad Wimpfen.

Von der Brücke hat man einen wunderbaren Blick auf das berühmte Panorama: Oben wacht die wehrhafte Pfalz der Stauferkaiser, unten am Ufer des Flusses liegen das Kloster und die Stiftskirche St. Peter. Wir folgten der gelben Muschel des Jakobswegs. Er verläuft direkt am  Neckar entlang.

In der Frühzeit muss Wimpfen das Paradies gewesen sein. Die ideale Landschaft.

Bad Wimpfen gehört seit 1803 zum Bistum Mainz. Eine Enklave. Direkt auf der Grenze zwischen dem Bistum Rottenburg-Stuttgart und dem Erzbistum Freiburg.

Für die Menschen der Frühzeit muss Wimpfen das Paradies gewesen sein. Eine ideale Landschaft. Drei Flüsse – Neckar, Kocher und Jagst – lieferten Wasser und Fische. Der Boden war fruchtbar, das Steilufer bewaldet. Auf dem Bergsporn hat Kaiser Barbarossa später seine Pfalz platziert.

In der Ebene bauten die Römer Straßen in alle Himmelsrichtungen. Im 7. Jahrhundert schließlich entdeckten die christlichen Missionare Wimpfen als Gnadenort. Wo heute der Altar der Klosterkirche St. Peter steht, errichteten sie ein erstes „Baptisterium“. Zwölfeckig. Im Zentrum das Taufbecken. Zum Untertauchen.

Unnahbar und fast fensterlos streben die Türme gen Himmel. Ein Bollwerk des Christentums

965 berichtete das Bistum Worms erstmals vom „Kloster Wimpfen“. Wie riesig es gewesen sein muss, verrät das gewaltige romanische Portal. Unnahbar und fast fensterlos streben die beiden trutzigen Türme gen Himmel. Ein Bollwerk des Christentums aus Sandsteinquadern. Kaum ein Sonnenstrahl fiel durch die Lichtschlitze ins Innere. Eine stille Welt des Gebets, beleuchtet allein von Kerzen.

Doch Architektur ist nie Selbstzweck. Sie kündet stets vom Zustand der Gesellschaft.

Um 1150 hat Friedrich I. Barbarossa begonnen, in Wimpfen eine Kaiserpfalz zu errichten. Die Stauferkaiser nämlich, die das ganze Jahr in ihrem Riesenreich unterwegs waren, besaßen keine festen Wohnsitze.

Sie übersiedelten mit ihrem gesamten Hofstaat alle drei oder vier Monate in die nächste Pfalz, meist einige Tagesritte entfernt. Diese Pfalzen waren luxuriös eingerichtete Burgen, in denen es an nichts mangelte.

Mit den Rittern kam die mondäne Welt an den Neckar. Und die Gotik.

Mit der Kaiserpfalz hielt auch im Wimpfener Stift unten im Tal ein höfisch-intellektueller Lebensstil Einzug. Die Benediktinermönche verschwanden. Ihre Posten übernahmen jetzt die jüngeren Söhne von Rittern, die kein Erbe zu erwarten hatten. Das „Ritterstift Wimpfen“ war geboren.

Die „Chorherren“ kümmerten sie sich um die Verwaltung der Länderreien des Bistums Worms. Und fungierten auch als Richter. Dafür wurden sie vom Bischof gut entlohnt. Heiraten durften jüngere Brüder aus Adelsfamilien damals nicht. Der Familienbesitz musste zusammengehalten werden.

Mit den Rittern kam die mondäne Welt an den Neckar. Sorgte nicht in Paris ein atemberaubender neuer Stil für Furore? Die Gotik. 

Französische Baumeister wurden angeheuert, um Wimpfen den Look der Moderne zu verpassen

Hohe luftige Hallen. Große schmale Fenster mit eleganten Spitzbögen. Das wollte man auch haben. Französische Baumeister wurden angeheuert, die dem Wimpfener Stift den federleichten Look der Moderne verpassen sollten.

Der Umbau begann im 13. Jahrhundert mit dem Südportal. Filigrane, feinziselierte Steinmetzarbeiten und lebensechte Heiligenfiguren hielten Einzug in Wimpfen. Hauchzart verzierte Pilaster und spitze Bögen. Es sind Kunstwerke vom Feinsten. Federleicht und zart. Ein Hauch von Notre-Dame im Neckartal.

Das gewaltige Gewölbe des gotischen Chors schwebt noch heute fast schwerelos hinauf zum Himmel. Die hohen schmalen Wände mit den unzähligen Fenstern scheinen sich förmlich aufzulösen in Farben. Doch beim Nähertreten entdeckten wir, dass die Fenster das gesamte Leben Jesu erzählen. Mit Querverweisen zum Alten Testament. Eine Bibel in Bildern.

Kloster Bad Wimpfen ist Baustilkunde pur

Welch ein Kontrast zur schweren, archaischen Romanik gleich nebenan. Kloster Bad Wimpfen ist Stilkunde pur.

Im Chorraum steht noch heute das Gestühl der Mönche. Und in die Rückseite des Altars – das war unsere spannendste Entdeckung – ist eine „Grabkammer Jesu“ eingelassen. Als wir im Dämmerlicht unserer Handys hinunter stiegen, glaubten wir tatsächlich einen Toten liegen zu sehen.

In der Marienkapelle trafen wir auf eine wunderbare spätgotische Pietà und eine traumschöne gotische Madonna. Beide aus dem 15. Jahrhundert. Hier beteten wir eine Andacht, bis es uns zu kalt wurde. Richtig warm ist es in St. Peter nie. Jetzt, Ende März, war es noch eisig.

Der gotische Umbauplan der Ritter hat nicht funktioniert

Der Gotik-Plan der Ritter hat nicht funktioniert. Kurz vor Vollendung der neuen Stiftskirche ging den Chorherren das Geld aus. Es blieb ihnen nichts übrig, als das romanische Westportal zu behalten und notdürftig mit der gotischen Kirche zu verbinden.

Für die Ritter war das eine Demütigung. Für uns heute ist es ein großes Glück. Weil wir dadurch noch immer eintauchen können in die spirituelle Atmosphäre eines Benediktinerklosters im frühen Mittelalter.

Sobald wir den gotischen Kreuzgang betraten, hatten wir das Gefühl, dass die Zeit stehen bleibt. Wie still es hier war. Nur die schräg einfallende Sonne malte Lichtmuster auf den Sandsteinboden und die Epitaphien.

Und manchmal schien es sogar, als hörten wir leise die Gregorianischen Choräle der Mönche. Durchbetete Mauer. Wo endet die Gegenwart? Wo beginnt die Vergangenheit?

Nach dem Dreißigjährigen Krieg interessierte sich niemand mehr für das machtvolle Gemäuser. Stift Wimpfen verfiel.

Dabei ist es ein Wunder, dass Kloster Bad Wimpfen überhaupt noch existiert. Als mit Beginn des 14. Jahrhunderts die Ära der Staufer zu Ende ging, lag das Stift Wimpfen verlassen.

In den Wirren des Bauernkriegs und des Dreißigjährigen Kriegs verlor es all seinen Landbesitz und verfiel. Niemand interessierte sich mehr für das einst so machtvolle Gemäuer. Lediglich die Stiftskirche wurde noch notdürftig in Stand gehalten.

Doch dann. Fast fünfhundert Jahre später. Das Wunder! Fünfzig Benediktinermönche irrten nach dem Zweiten Weltkrieg heimatlos durch Deutschland. Sie kamen aus der einstmals prächtigen Abtei Grüssau in Schlesien und waren von polnischen Truppen aus ihrem Kloster vertrieben worden.

1947 stolperten 50 Benediktinermönche heimatlos durch Deutschland. Dann fanden sie Kloster Wimpfen.

Die Brüder hatten Schreckliches hinter sich. Ein Großteil des Konvents war von den Nationalsozialisten gezwungen worden, an vorderster Front zu kämpfen. Die paar Mönche, die diesen Alptraum überlebt hatten, stolperte nun heimatlos durch die Kälte. Wohin sollten sie nur gehen?

Ein Jahr lang suchten die Mönche. Dann, 1947, wurde ihnen das ehemalige Ritterstift Wimpfen zum Kauf angeboten. Die Kirche befand sich noch in einem passablen Zustand, das Kloster jedoch glich einer Ruine.

Die Benediktiner nahmen es trotzdem und bauten Kloster Wimpfen mit eigenen Händen wieder auf. Fünfzig Jahre lang. Dann erkannten die Benediktiner von Wimpfen , dass ihre Gebet um Nachwuchs nicht erhört werden würden.

Kloster Bad Wimpfen ist heute ein „Geistliches Zentrum“ in benediktinischer Tradition

Seit 2004 befindet sich Kloster Bad Wimpfen im Besitz des Malteser Hilfdienstes. Er betreibt hier – mit finanzieller Unterstützung durch das Bistum Mainz – ein „Geistliches Zentrum“. In benediktinischer Tradition. Aber ohne Mönche.

40 tiptop sanierte Gästezimmer mit 60 Betten stehen für Gruppen zur Verfügung, die sich hier für Einkehrtage, Seminare oder Auszeiten einquartieren möchten. Das Angebot wird rege genutzt.

In der Mitte des gotischen Kreuzgangs wächst eine uralte Magnolie. Sie blüht, sagt die Legende, stets an Ostern. Es könnte etwas Wahres dran sein. Wir waren zwei Wochen vor Ostern in Bad Wimpfen und konnten schon zaghafte rosa Knospen entdecken.

Der Aufstieg in die Wimpfener Altstadt oben auf dem Berg dauert zu Fuß etwa eine halbe Stunde. Diese Anstrengung lohnt. Der mittelalterliche Stadtkern, in dem sich stattliche Facherwerkhäuser mit den Resten der einstiegen Kaiserpfalz mischen, steht komplett unter Denkmalschutz. Man kann stundenlang gehen und staunen.

Für die Rückfahrt nahmen wir den Bus bis Bad Rappenau. Dann ging es weiter mit der S-Bahn nach Sinsheim. Hier wartete der Anschluss nach Heidelberg schon auf uns.
 

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