Rittersbach: Ein Hauch von Weltkulturerbe

St. Georg verblüfft mit
einer Kopie der Reichenauer Fresken
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Eine der ältesten Kirchen Deutschlands steht mitten im Odenwald. Auf halber Strecke zwischen Mosbach und Buchen, im Dörfchen Rittersbach an der Elz.

Man sieht – und traut seinen Augen kaum – eine gewaltige ottonische Basilika fast völlig ausgemalt mit strahlend bunten Fresken. Die Kirche könnte eine Sensation sein, wenn sie echt wäre. Das ist sie aber leider nicht. St. Georg ist eine Kopie der mehr tausend Jahre alten Kirche von Oberzell auf der Bodenseeinsel Reichenau. Ein Hauch von Weltkulturerbe in Rittersbach. Wie kommt man auf so eine Idee?

Die Geschichte von St. Georg begann mit einer Sensation: Ein frühmittelalterlicher Bilderzyklus vergraben unter Putz.

Die Geschichte von St. Georg beginnt mit einer Sensation. 1880 entdeckte ein Pfarrer auf der Reichenau einen frühmittelalterlichen Bilderzyklus, entstanden zwischen 900 und 1000. Die Wandmalereien waren jahrhundertelang unter Putzschichten vergraben gewesen und mussten nun Millimeter für Millimeter freigelegt werden.

Die Sandsteinbasilika ist perfekt
für Wandmalereien
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Weil dem 19. Jahrhundert für solch eine diffizile Arbeit aber sowohl das Gerät wie das Knowhow fehlten, fiel manch ein Apostelgesicht dem Spachtel zum Opfer. Sehr zum Entsetzen des jungen Architekturstudenten Ludwig Maier, der die Freilegung begleiten durfte.

Maier hat es nie verwunden, dass man den wunderbaren Reichenauer Bilderzyklus nie würde in unversehrter Form betrachten können. Doch was dagegen tun? Diese Frage rumorte in Maier noch immer, als er schon Karriere machte. Erst berief ihn der Freiburger Erzbischof zum Leiter des Bauamts in Mosbach. Dann avancierte Ludwig Maier zum Chef des Erzbischöflichen Bauamts in Heidelberg. Als solcher ließ er rund hundert, meist historistische Kirchen bauen. Darunter St. Bonifatius und St. Raphael in Heidelberg, St. Johannes Nepomuk in Eberbach und St. Laurentius in Weinheim.

Dem Architekten ging es vor allem darum, der Welt zurückzugeben, was sie verloren hatte.

Ein Kunstmaler hat die Bilder
mit Pauspapier kopiert
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Ludwigs Maiers Erstling und – wahrscheinlich auch seine Herzenskirche – jedoch steht in Rittersbach. 1886 war das alte barocke Gotteshaus der Elztalgemeinde baufällig geworden. Maier, damals noch beim Mosbacher Bauamt, erkannte die Chance. Jetzt würde er der Welt zurückgeben, was sie verloren hatte: Den Oberzeller Bilderzyklus. In seiner ganzen Schönheit und farbigen Pracht.

Eine exakte Eins-zu-Eins-Kopie der Kirche auf der Reichenau hatte Maier nie im Sinn. Das wäre viel zu teuer geworden für das 660-Seelen-Dorf Rittersbach. Dem Architekten ging es vor allem darum, eine perfekten Rahmen für die Wandmalereien zu schaffen. So begnügte sich Maier denn mit preisgünstigem Odenwälder Sandstein, verzichtete – obwohl essenziell für romanische Kirchen – auf Vierung, Krypta und verzierte Kapitelle. Für die Obergaden wählte er gar zeitgenössische Formen.

Die Kirche von Rittersbach ist ein neuromanischer Rausch für die Sinne.

Die hohe Basilika macht
sprachlos vor Staunen
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Die Wandmalereien in St. Georg jedoch sind vom Feinsten. Der Freiburger Kunstmaler Fritz Kohlund hat die riesigen Bilder auf der Reichenau akribisch kopiert. Mit Pauspapier! Und sie dann im Originalformat von vier mal zwei Metern in die Rittersbacher Kirche übertragen. Nur die zerkratzten Gesichter der Apostel, die Bilder auf dem Triumphbogen und die Ausmalungen im Chor hat Kohlund selbst entworfen.

1888 war die katholische Kirche von Rittersbach vollendet. Sie ist ein „romanischer“ Rausch für die Sinne. Lange kann man in der hohen Basilika stehen, den Kopf ins Genick gelegt und sprachlos sein vor Staunen. Doch irgendwann wandert der Blick unweigerlich auch zum Altarraum. Da gibt es keine Bilder mehr, nirgends. Im Ausräumrausch nach dem Konzil hat man 1970 fast alle Malereien, die nicht zum Reichenauer Zyklus gehörten, übertüncht. Architekt Ludwig Maier konnte dagegen nichts mehr tun. Er starb 1915. Zufrieden mit seinem Lebenswerk.

Kirchenfakten
Name: Sankt Georg
Adresse: Georgstraße 3, 74834 Elztal
Konfession: katholisch
Baujahr: 1888
Baustil: Neoromanik
Kunstschätze:
– Kopie eines ottonischen Freskenzyklus aus dem 10. Jahrhundert
– Kreuzweg im Stil der Nazarener aus Öldrucken (1911)
– Barocke Madonna im Strahlenkranz von 1737
– Moderner Crucifixus am Lebensbaum von Wolfgang Eckert (2004)
– Moderne Wandgemälde von Julia Elsässer-Eckert (2004)
Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet
Kontakt: Katholisches Pfarramt Elztal-Dallau, Kirchenstraße 10,
74834 Elztal-Dallau
Telefon: 06261-2765
E-Mail: pfarramt.dallau@kath-elf.de
Internet: www.kath-elztal-limbach-fahrenbach.de

Ein Gedanke zu „Rittersbach: Ein Hauch von Weltkulturerbe

  1. Vorschlag: Bei der nächsten Renovierung des Chorraums die überstrichenen Wandmalereien wieder sichtbar machen. Das hineingebrochene Stirnfenster sollte kein Hindernis sein. Auch in originalen mittelalterlichen Kirchen finden sich wieder sichtbar gemachte Fresken, die aufgrund später vergrößerter Fenster nur unvollständig erhalten sind.

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