Bruchsal: Ein Treppenhaus ins Himmelreich

Das Märchenschloss
der Bischöfe von Speyer

Bäte man zehn Menschen, ein Märchenschloss zu zeichnen, bei acht käme Bruchsal heraus. Diese barocke Residenz nämlich besitzt alle Zutaten, die ein Traumschloss braucht. Dabei haben hier keine weltlichen Herrscher gelebt, sondern Bischöfe. Ein Kirchenspaziergang durch eine Stadt, wo jeder Stein von Exzellenzen erzählt.

Bruchsals Geschichte beginnt in Speyer. Und mit einer Fehde zwischen den dortigen Fürstbischöfen und ihrem Volk. Die Bischöfe fühlten sich als legitime Herrscher über die Domstadt. Die Speyerer Bürger hingegen wollten ihre Politik selbst bestimmen. Der Kaiser hatte ihnen das 1111 im „Großen Freiheitsbrief“ erlaubt. Der Klerus sei nur mehr für das Seelenheil zuständig, fand der Magistrat der Stadt. Die Exzellenzen fanden das nicht und verhängten einen Kirchenbann. Keine Gottesdienste mehr, kein Glockengeläut, keine Sakramente.

Im Schlosspark beginnt
der Kirchenspaziergang

Dann machten sich die Bischöfe mitsamt ihres Kirchenschatzes auf die Suche nach einer neuen Bleibe. Jenseits des Rheins. Sie fanden die Dörfer Philippsburg und Bruchsal. 1358 errichtete Bischof Gerhard von Ehrenberg in Bruchsal eine Burg, von der heute noch der Bergfried existiert. Ihn betrachten wir später. Jetzt begeben wir uns erst zum Bruchsaler Schlosspark. Hier beginnt unser Kirchenspaziergang.

Station 1: Das Märchenschloss der Bischöfe

Es war ein sonniger Frühlingstag im März 1720, als Damian Hugo von Schönborn aufbrach zu einem Ausritt. Der 44-Jährige, seit vier Jahren Fürstbischof von Speyer, suchte nach seiner Zukunft. Der Weiler Philippsburg nämlich entsprach in keiner Weise seinem Format. Damian Hugo entstammte einem einflussreichen Mainzer Adelsgeschlecht. Der Vater war Minister, der Onkel Erzbischof, drei seiner Brüder Fürstbischöfe. Damian Hugo selbst hatte in Rom studiert, die Ernennung zum Kardinal stand bevor. Ein repräsentativer Bischofssitz musste her. So schnell wie möglich.

Das Wappen der Fürstbischöfe –
Askese war nicht ihr Ding

Eine Rückkehr nach Speyer kam nicht in Frage. Der Pfälzische Erbfolgekrieg hatte Dom und Bischofspalast zerstört. Damian Hugos Angebot, beides wieder aufzubauen, war von den „zancksichtigen Speyerern“ abgelehnt worden. Man verstehe sich jetzt als freie, protestantische Reichsstadt. Weder „tot noch lebendig“ werde er je wieder einen Fuß nach Speyer setzen, soll Damian Hugo ausgerufen haben. Am 9. März 1720 schrieb er an seinen Bruder: „Ich habe nun den Ort ausgelesen, wo meine Residenz hinkommen soll. Es ist zu Bruchsal. Ich habe mein Tag keine schönere Situation gesehen.“

Tatsächlich galt Bruchsal schon in der Frühzeit als ideales Siedlungsland. Der Kraichgau besaß fruchtbaren Lössboden, der dichte Lußhardwald war ein perfektes Jagdrevier. Seit dem 11. Jahrhundert gehörte der Ort den Bischöfen von Speyer. Das Bruchsaler Stadtwapppen zeigt noch heute ihr silbernes Bischofskreuz auf blauem Grund.

50 barocke Gebäude wuchsen zu einer prachtvollen Residenz heran

Damian Hugo von Schönborn
im opulenten Deckengemälde

Damian Hugo ging beherzt ans Werk. 50 barocke Gebäude wuchsen nördlich des engen Bruchsaler Stadtkerns zu einer weitläufige Schlossanlage heran. Die prachtvolle Residenz liegt in einem Park. Man flaniert zwischen uralten Bäumen, Teichen und weiten Rasenflächen. Alle Wege sind zentriert auf das Schloss, dessen Fassade in zartem Pastell schimmert. Verspielter Stuck umrahmt die unzähligen Fenster, überall glänzt Gold.

Im Inneren steht man staunend unter opulenten Deckengemälden, in denen sich die Bischöfe inmitten der griechischen Mythologie tummeln. Überall hängen Spiegel, Symbole für die Ewigkeit. Die Wände sind elegant bespannt, an den Säulen glänzt der Marmor, es gibt sogar eine Grotte.

Sensationell: Das Treppenhaus
von Balthasar Neumann

Eine Weltsensation ist das Treppenhaus. Balthasar Neumann hat es entworfen, der berühmteste Baumeister seiner Zeit. Treppenhäuser waren im Barock Symbole der Macht. Auf der „Krone aller Treppenhäuser“ im Bruchsaler Schloss vermeint man, in den Himmel hinauf zu schweben. „Das Hochstift Speyer habe ich steinig gefunden und golden hinterlassen“, resümierte Damian Hugo von Schönborn hochzufrieden am Ende seines Lebens.

Im März 1945 bombadierten alliierte Kampfflieger Bruchsal. Das Schloss brannte komplett nieder.

Das Bruchsaler Schloss ist ein barockes Juwel, aber es ist leider kein Original mehr. Am 1. März 1945 bombardierten alliierte Kampfflieger die Bruchsaler Innenstadt. Sie brannte komplett nieder, das Barockschloss ward. Glücklicherweise hat man keine Kosten gescheut, um die Residenz wieder aufzubauen. So originalgetreu wie möglich. Siebzig Jahre hat das gedauert. Erst im April 2017 ist die Beletage fertig geworden. Ein Riesenaufwand. Er hat sich gelohnt.

Station 2: Die Hofkirche St. Damian und Hugo

Die Hofkirche wurde
modern wieder aufgebaut

Die Alternative zur Rekonstruktion kann man nebenan in der Hofkirche erleben. Sie ist heute die katholische Pfarrkirche von Bruchsal. Die Hofkirche wurde modern wieder aufgebaut. Schnörkellos und klar. Eine Altarinsel bildet den Mittelpunkt des langen Kirchenraums, die strukturierte Holzdecke wirkt wie eine Skulptur. Ein schöner Kreuzweg aus Druckstöcken in Weiß und Gold stammt vom Karlsruher Künstler HAP Grieshaber. Ein stimmiger Kirchenraum. Der Charakter einer Kathedrale jedoch, den dieses Gotteshaus einst hatte, ist verloren.

Ihre Schutzheiligen durfte die Hofkirche immerhin behalten: Den heiligen Damian und den heiligen Hugo. Nicht schwer zu erraten, wessen bevorzugter Aufenthaltsort diese Kirche im 18. Jahrhundert war.

Heinrich Hübsch hat das „Zuchthaus“
entworfen. Für Mörder.

Noch ein Blick zurück auf das schöne Damianstor, das einzig erhaltene Stadttor. Jenseits des Tors befindet sich seit 1848 die achteckige Bruchsaler Justizvollzugsanstalt. Auch sie ein spannender Bau. Der Karlsruher Oberbaurat Heinrich Hübsch hat das „Zuchthaus“ entworfen. Für 400 männliche Gefangene. Meist Mörder.

Station 3: Rund um den Bruchsaler Marktplatz

Unser Kirchenspaziergang folgt der Friedrichstraße in die Bruchsaler Fußgängerzone. Den Marktplatz dominiert die ehemals gotische Stiftskirche „Unserer Lieben Frau“ aus dem 15. Jahrhundert. Das gewaltige Gotteshaus hatte nicht viel Glück im Leben. 1507 übergab man Liebfrauen an die Chorherren des Ritterstifts Odenheim.

Das Damianstor ist
das einzig erhaltene Stadttor

Das waren meist jüngere Söhne der Kraichgauritter. Turniere standen ihnen näher als Gebete. Die Bruchsaler Marktkirche verkam, bis sie 1689 der Pfälzische Erbfolgekrieg komplett zerstörte. Im Zweiten Weltkrieg erging es dem wiederaufgebauten Gotteshaus nicht besser. Heute ist der Innenraum von Liebfrauen modern gestaltet.

Wir überqueren den Marktplatz und biegen in das Sträßchen „Am Alten Schloss“ ein. Hier erhebt sich der Bergfried von Bischof Gerhards Trutzburg von 1385. Der gewaltige Sandsteinturm misst 38 Meter, seine Mauern sind drei Meter dick. Der Bergfried ist das älteste Gebäude Bruchsals. An seiner Ostseite kann man auf halber Höhe eine eingemauerte Platte erspähen: „Gerhardus de Ernberg episcopus Spirensis“. Der Bergfried ist begehbar.

Schmucke barocke Bauern- und Handwerkshäuser erzählen vom Wohlstand der Stadt unter der Ägide der Bischöfe

Der Bergfried von Bischof
Gerhards Trutzburg

Oben am Hang erkennt man das barocke Sommerschloss „Belvedere“. Fürstbischof Franz Christian von Hutten, Schönborns Nachfolger, hat es 1756 errichten lassen. Als fürstbischöfliches „Schießhaus“. Bei klarem Wetter ist der Blick von dort sensationell. Durch den Bürgerpark erreichen wir die „Große Brücke“ und überqueren den Saalbach. Jenseits der Württemberger Straße geht es die Kirchgasse nach St. Peter hinauf. Hier beginnt der Teil Bruchsals, der beim alliierten Angriff nicht bombadiert wurde. Schmucke barocke Bauern- und Handwerkshäuser erzählen vom Wohlstand unter der Ägide der Bischöfe.

Station 4: St. Peter – Die Grablege der Bischöfe

1742 spürte Damian Hugo von Schönborn seine Kräfte schwinden. Doch wohin sich zu Grabe legen? Der Dom zu Speyer, in dessen Krypta alle Fürstbischöfe ruhten, kam nicht in Frage. Wegen des Gelübdes. Damian Hugo musste eine neue Grablege erschaffen, für sich und seine Nachfolger.

Die Peterskirche überragt
alle Dächer der Stadt

Der Blick seiner Exzellenz fiel auf die alte gotische Peterskirche aus dem 14. Jahrhundert. Sie stand oben am Hang und überragte alle Dächer der Stadt. Das entsprach dem Selbstbild des Fürstbischofs. Dass die Hallenkirche seit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg nur mehr eine Ruine war, störte ihn indes wenig. Das konnte man richten. „Bischof Damian Hugo“, wird das Volk später sagen, „war vom Bauwurmb befallen.“

Einen gotischen Trümmerhaufen in ein barockes Juwel zu verwandeln – solch ein Kunststück konnte nur einem gelingen: Balthasar Neumann. Seine „neue“ barocke Peterskirche besitzt zwei hohen Zwiebeltürme als Kennzeichen einer Bischofskirche. Der eine Turm symbolisiert die geistliche, der andere die weltliche Herrschaft des Fürstbischofs. Im Innern ist St. Peter mehr als eine Kirche. Sie ist ein Bollwerk des Katholizismus inmitten eines Meeres aus reformierten Dörfern und Städten. Erst seit 1936 werden auch in Bruchsal evangelische Gottesdienste gefeiert.

Wie man einen gotischen Trümmerhaufen in ein barockes Juwel verwandelt

Der Hochaltar ist eine
Orgie aus Gold und Putten

Der üppige barocke Hochaltar und die Kanzel sind die Herzstücke von St. Peter. Eine Orgie aus Gold und Putten, Schnitzwerk und verzierte Säulen. Die Seitenaltäre stehen merkwürdigerweise an den Vierungspfeilern statt in den Seitenarmen. Riesige Marmorgrabmale der Fürstbischöfe dominieren den Kirchenraum. 1748 war er vollendet. Kardinal Damian Hugo von Schönborn war da schon fünf Jahre tot. Er starb 1743 im Alter von 66 Jahren.

Sein Nachfolger Kardinal Franz Christian von Hutten wird als „offen, humorvoll und stets freundlich“ beschrieben. Sparsamkeit hielt er für ein Laster. Von Hutten war es, der das Schloss im lustvollen Stil des Rokoko ausmalen ließ. In Bruchsal entstanden unter seinem Pontifikat eine Saline mit dem größten Grenadierwerk Deutschlands, eine Tabakmanufaktur, eine Spitzenfabrik und ein Eisenerzbergwerk. Keines dieser Unternehmen hatte auch nur den geringsten wirtschaftlichen Erfolg. Als der Kardinal starb, hatte die Bistumskasse fast eine halbe Million Schulden.

„Mehr braucht’s nicht“, hat Damian Hugo von Schönborn angeblich gesagt

Fürstbischof Franz
Christian von Hutten

In die Fertigstellung der Peterskirche hingegen investierte Franz Christian von Hutten wenig. Ihre Außenfassade blieb schmucklos, die Orgelempore wurde eingespart, die 22 Meter hohe Kuppel erhielt einen schlichten weißen Anstrich. Das heutige Bildprogramm stammt aus dem 20. Jahrhundert. Nur die Bischofsgruft direkt unter der Kuppel, exakt im Zentrum der Kirche, wurde fertiggestellt. Mit Nischen für nur drei Särge. Warum so wenige? Die Antwort auf diese Frage ist in Bruchsal Mythos. „Mehr braucht’s nicht“, hat Damian Hugo von Schönborn angeblich gesagt.

Und Recht behalten. Tatsächlich haben nach Damian Hugo nur noch zwei Fürstbischöfe das Hochstift Speyer geführt, bevor es 1803 säkularisiert wurde und an das Land Baden fiel. Der letzte Bruchsaler Bischof – Philipp Wilderich von Walderdorff – ist schon im Exil gestorben. Nur noch sein Herz ruht in Bruchsal. Wohlbehütet in einer silbernen Kapsel.

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