Wann ist es in der Martin-Luther-Kirche am schönsten? Morgens, wenn die Sonne durch den Lichtschlitz schlüpft und auf dem Altar tanzt? Oder abends, wenn das bunte Betonglas den Raum in ein Farbenmeer verwandeln?
Zauberhaftes Licht hier wie da, doch richtige Fenster sucht man vergeblich in der evangelischen Kirche von Ilvesheim.
Die Martin-Luther-Kirche braucht keine Verbindung zur Außenwelt. Sie ruht in sich selbst. Ein Raum der Stille. Ein Raum zum Aufatmen. Ein Raum aber auch, mit dem wir uns schwer getan haben in den letzten Jahren. Wie überhaupt mit der Architektur der 1970er. Jetzt kehrt die Lust an der reinen Form langsam wieder. Heiliger Beton.
Die Avantgarde der Nachkriegszeit wollte anders bauen: Roher, echter, ehrlicher.
„Brutalisten“. Diesen Namen gab sich die Architekten-Avantgarde der Nachkriegszeit selbst. Der Begriff leitet sich ab vom Franzöischen „béton brut“, Sichtbeton. Aber natürlich dachte man die zweite Bedeutung im Deutschen immer mit. Was den jungen Wilden nur recht war. Sie wollten ja irritieren, anders bauen. Roher, echter, ehrlicher.
So auch Helmut Striffler. Der spätere Stararchitekt war 18, als der Zweite Weltkrieg endete. 124 Bombennächte hatten seine Heimatstadt Ludwigshafen ausgelöscht und ihn selbst für immer geprägt. Striffler hat zeitlebens nie einen rechten Winkel gezeichnet. „Nur Gewehrkugeln fliegen geradeaus“, antwortete er, wenn man ihn auf die überraschenden Formen seinen Bauten ansprach.
Gotteshäuser wie Höhlen, die freien Raum lassen für spirituelle Erfahrung.
Die Liebe zur Askese hat Helmut Striffler bei Egon Eiermann gelernt, dem bedeutendste Architekt der deutschen Moderne. 1951 baute Eiermann in Pforzheim die erste Kirche aus Stahlbeton, Striffler assistierte. Das war seine Erleuchtung. So wollte er bauen. Gotteshäuser aus rohem Material. Wie Höhlen, die freien Raum lassen für spirituelle Erfahrung.
Der Auftrag für die Martin-Luther-Kirche in Ilvesheim kam 1964. Da war Striffler schon bekannt. Das Projekt faszinierte ihn wegen der schier unlösbaren Aufgabenstellung: Auf einem schmalen Gartengrundstück im Ortskern sollten Kirche und Gemeindehaus Platz finden. Striffler ließ die beiden Gebäude in spitzem Winkel aufeinanderstoßen, wodurch sich ein dreieckiger Vorplatz öffnet. Als „Gelenk“ fungiert der Turm aus Sichtbeton. Durch ihn betritt man die Kirche.
Keine Symmetrie, nirgends. Jede Wand verläuft schief.
Es ist ein Übergang in eine andere Sphäre. Ein dunkler Gang, eine Drehung, dann öffnet sich ein hoher Kirchenraum aus weißem Backstein mit einer Decke aus Sichtbeton. An den Wänden formieren sich Neonstäbe zu strengen Skulpturen.
Zum Altar hin verjüngt sich die Kirche. Die Prinzipalien aus weißem Marmor wirken vor der steilen Stirnwand wie Miniaturen. Keine Symmetrie, nirgends. Jede Wand verläuft schief, selbst die Decke hängt schräg. Ein surrealer Raum. Er öffnet den Menschen für Gott.
Auf Kunst verzichtete Helmut Striffler bewusst. Nicht einmal ein Kreuz sollte die Reinheit des Raumes stören.
Als die Gemeinde dennoch den Kruzifixus aus ihrer alten Kirche unter den Lichtschlitz hängte, drohte ein Zerwürfnis mit dem Architekten. Das Holzkreuz blieb. Es hat inzwischen gelernt zu schillern. Am Abend. Wenn die Strahlen der Sonne durchs Betonglas brechen.
Kirchenfakten |
Name: Martin-Luther-Kirche Adresse: Neue Schulstraße 10, 68549 Ilvesheim Konfession: evangelisch Baujahr: 1964 Baustil: Moderne Öffnungszeiten: Nach Vereinbarung Kontakt: Evangelische Kirchengemeinde Ilvesheim, Neue Schulstraße 10, 68549 Ilvesheim Telefon: 0621-492372 E-Mail: ilvesheim@kblw.de Internet: www.ev-kirche-ilvesheim.de |