Mannheim: Ein Rausch für die Sinne

Die Jesuitenkirche ist ein barocker
Himmel. Doch leider nicht echt.

Erst sieht man nur das Gold. Wie ein Wasserfall ergießt es sich über den gewaltigen Hochaltar. Beim Nähertreten entdeckt man inmitten des Glanzes eine Heerschar von Heiligen, Engeln und Allegorien. Sie werden beschirmt von einer majestätischen Kuppel, die direkt in den Himmel zu führen scheint.

Die Mannheimer Jesuitenkirche ist ein Rausch für die Sinne, ein Stück Himmelreich in Rosa, Grün und Gold. Mehr Barock geht nicht. Schade nur, dass all die Pracht nicht echt ist. Die Jesuitenkirche wurde im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört. Die Rettung geschah in letzter Sekunde. Und sie glich einem Wunder.

Die frostigen Mauern zerfraßen die traumschönen Wandmalereien.

Es war die Nacht zum 6. September 1943. Sirenen gellten durch die Quadratestadt, Bomben pfiffen, dann stürzte das Gewölbe der Jesuitenkirche in sich zusammen. Es zermalmte den Chor mitsamt des Hochaltars. Der Eiswinter 1945 gab dem Langhaus den Rest. Die frostigen Mauern zogen Wasser, das die Decke mit den traumschönen Wandmalereien zerfraß. Einzigartige Meisterwerke – verloren. Die bedeutendste Barockkirche im Südwesten – ein Abbruchskandidat.

Die majestätische Kuppel
führt in den Himmel hinein.

Dabei hatte alles so großartig begonnen. Im 18. Jahrhundert war Mannheim eine der schönsten Städte der Welt. Kurfürst Carl Theodor residierte im größten Schloss Deutschlands, seine Bälle waren legendär. Mannheim gab den Ton an in Musik, Kunst, Philosophie und Wissenschaft.

Die Jesuitenkirche war Carl Theodors letztes Bauvorhaben. Die Krönung seiner Residenz. Dumm nur, dass es nicht mehr viel Platz gab, wie Architekt Alessandro Galli da Bibiena 1727 erschrocken feststellte. Wie sollte er auf diesem schmalen Streifen eine Basilika im Stil der römischen Jesuitenkirche „Il Gesù“ bauen?

Hohe Fenster beleuchten den Altar von hinten. Eine ungewöhnliche Idee.

In seiner Not schrumpfte Bibiena das Querschiff radikal zusammen, wodurch die „Basilica Carolina“ ein wenig schmalbrüstig wirkt. Der Malerstar Egid Qurin Asam aus München schmückte Kuppel und Decke mit zwei Freskenzyklen, die das Leben der Jesuitenheiligen Ignatius von Loyola und Franz Xaver erzählten. Sie sind die Patrone der Kirche.

Weil der Bauplatz knapp war,
fehlt das Querschiff
.

Fehlte noch der Chor. Kurz vor seinem Tod hatte Bibiena hier hohe Fenster einbauen lassen, die den Altar von hinten beleuchten. Eine ungewöhnliche Idee. Bibienas Nachfolgern blieb nichts anderes übrig, als den Hochaltar frei in den Raum zu stellen. Ins Zentrum postierten sie den goldenen Tabernakel und eine Figurengruppe, umrahmt von massiven Marmorsäulen. Am 18. Mai 1760 wurde die Jesuitenkirche geweiht.

19 Jahre später war es vorbei mit der höfischen Pracht. Karl Theodor übersiedelte nach München, Mannheim mutierte zur Handelsmetropole. Dann 1943. Die Katastrophe. 25181 Tonnen Bomben fielen auf die Quadratestadt. Die Jesuitenkirche ward.

Darf man einen barocken Altar „nachschöpfen“? Die Mannheimer wagten es.

Aber nicht für immer. 1947 kam der Jesuitenpater Franz Meßbacher nach Mannheim. Jeden Tag, bei jedem Wetter, sommers wie winters feierte er in den Ruinen der Kirche eine Messe. Das wirkte. 1948 deckten Mannheims Handwerker das Gotteshaus kostenlos wieder ein. 1949 flossen die ersten Spenden. Am 6. November 1960 war die „neue“ Jesuitenkirche fertig.

Vergilbte Fotografien dienten
als Vorlage für den neuen Altar
.

Ihr Altar war schrecklich. Ein stakeliges Fünfziger-Jahre-Etwas. Was tun? Einen modernen Hochaltar in Auftrag geben? Oder den barocken Altar „nachschöpfen“? Mit nur zwei vergilbten Fotografien als Vorlage?

Die Mannheimer wagten es. Elf Jahre und etliche Millionen Mark verschlang das einmalige Projekt. 243 Tonnen wiegt der neue barocke Hochaltar. 1997 wurde er geweiht. Die Moderne kommt in der Jesuitenkirche trotzdem nicht zu kurz. Vor der Nachschöpfung steht ein federleichter Zelebrationsaltar, auf dem 748 Rosen blühen. In glänzendem Silber.

Kirchenfakten
Name: Jesuitenkirche St. Ignatius und St. Franz Xaver
Adresse: A 4, 2, 68159 Mannheim
Konfession: katholisch
Baujahr: 1760 / 1960
Baustil: Barock
Kunstschätze:
– Silbermadonna im Strahlenkranz von 1747
– knapp 20 Meter hoher rekonstruierter Hochaltar (1997)
– Sechs barocke Seitenaltäre von Peter Anton von Verschaffelt
– Barocke Weihwasserbecken
– Rekonstruierte Fürstenlogen
– Denkmäler der Kurfürsten Carl Philipp und Carl Theodor (1906)
– Moderner Zelebrationsaltar von Klaus Ringwald
Öffnungszeiten: Tagsüber geöffnet
Kontakt: Pfarr- und Dekanatsbüro an der Jesuitenkirche, A 4,2, 68159 Mannheim
Telefon 06 21- 12709 -0
E-Mail: pfarrbuero@jesuitenkirche.de
Internet: www.jesuitenkirche.de

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