Tiefe Abscheu sprach aus den Mienen der Architekten vom evangelischen Oberkirchenbauamt. „Die Kanzel ist entsetzlich“, brach es aus ihnen heraus. Ein paar Monate gebe man der Gemeinde von Daudenzell noch. „Dann muss das Ding weg!“
Das war im Frühjahr 1939. Im September begann der Zweite Weltkrieg, Daudenzell war vergessen. Zum Glück. Bei der bescholtenen Kanzel nämlich handelte es sich um den einzigen lutherischen Kanzelaltar in der Region. Eine echte Rarität.
1522 wurde Daudenzell lutherisch reformiert. Dabei ist man geblieben.
Es ist ruhig in Daudenzell. Die Bundesstraße braust einige Kilometer weiter bei Aglasterhausen. Geschäfte gibt es nicht mehr, Gaststätten auch nicht. Die Bäche, die früher mitten durchs 350-Seelen-Dorf schossen, sind verdolt. Die alten Höfe tragen prächtige Walmdächer, auf der Dorfstraße spielt eine schwarze Katze. Und hoch über alldem thront die evangelische Kirche. Sie ist das einzige Gotteshaus in Daudenzell. Das Dorf wurde 1522 lutherisch reformiert. Dabei ist man geblieben.
Der Kraichgau im 16. Jahrhundert. Ein kleinteiliges Land, ein Land der Ritter. Unzählige Burgen und Schlösser lugten zwischen den Hügeln hervor, kaum ein Freiherr besaß mehr als vier oder fünf Dörfer. Weshalb die Ritter beständig auf der Hut waren, sowohl vor den mächtigen Kurfürsten wie auch vor den Wormser Bischöfen, die das Seelenheil immer teurer verkauften. Dann kam Martin Luther.
Das gotische Chorturmkirchlein ist heute ein Andachtsraum mit unglaublicher Aura.
Vielleicht haben die Ritter den Reformator schon 1518 in Heidelberg erlebt. Persönlich kennengelernt haben sie ihn 1521 beim Reichstag in Worms. Die Freiherren standen sofort in Flammen. Welch eine Wohltat war die Reformation für die kleinen Landesherrn. Künftig würden sie ihren Pfarrer selbst aussuchen, deutsche Gottesdienste feiern in ihnen Lieder, Bibeln verteilen, Kirchen- und Gemeindeordnungen erstellen …
In Daudenzell führte Bernhard Göler von Ravensburg das lutherische Bekenntnis ein. Noch im uralten Chorturmkirchlein. Es besitzt gotische Spitzbögen, Sakramentshäuschen und hochkarätige Wandmalereien. All diese gotische Schönheit ist heute genial ins barocke Gotteshaus integriert. Man schlüpft unter dem Altar hindurch und steht in einem Andachtsraum mit unglaublicher Aura.
Der Kanzelaltar ist holzgewordene lutherische Theologie.
Die „neue“ Kirche von Daudenzell, 1782 erbaut, wirkt so hell und klar, dass man sie fast für ein Werk der Moderne halten könnte. Vielleicht weil sie genau auf der Schwelle vom Barock zum Klassizismus erbaut wurde.
Wir sehen eine hohe Halle mit geschweiftem Giebel und neun Fenstern, durch die das Licht ins Kirchenschiff flutet. Die grazile Empore umschließt den Saal von drei Seiten. Unten beteten früher die Frauen, oben die Männer. Gotische „Neidköpfe“ draußen auf den Simsen beschützen Daudenzell vor allem Bösen.
Der einzige Schmuck im Kirchenraum ist der schöne Kanzelaltar. Er ist holzgewordene lutherische Theologie: Der „Tisch des Wortes“ und der „Tisch des Brotes“, untrennbar vereint in einem Möbelstück. In Norddeutschland gehören solche Altäre zum Standard, in Nordbaden sind sie selten. Nicht auszudenken, wenn man dieses „Ding“ tatsächlich weggeschafft hätte.
Kirchenfakten |
Name: Evangelische Kirche Daudenzell Adresse: An der Kirche 5, 74858 Aglasterhausen-Daudenzell Konfession: evangelisch Baujahr: 14. Jahrhundert / 1782 Baustil: Gotik/Barock Kunstschätze: – Qualitätsvolle Wandmalereien aus dem 13. und 14. Jahrhundert im Tur – Gotische Sakramentshäuschen – Barocker Kanzelaltar – Gotische Neidköpfe auf dem Gesims der Außenwand Öffnungszeiten: Nach Vereinbarung Kontakt: Evangelisches Pfarramt Aglasterhausen, Am Marktplatz 11, 74858 Aglasterhausen Telefon: 06262-6390 E-Mail: sekretariat@evang-kirche-aglasterhausen.de Internet: www.evang-kirche-aglasterhausen.de |