Wiesenbach: Die versunkene Krypta

Die Barockkirche von Wiesenbach birgt einen uralten Schatz.

Es war ein Traum. Vielleicht ein zu schöner. Direkt neben der barocken katholischen Kirche von Wiesenbach entdeckten Bauarbeiter eine uralte Krypta. Romanisch. Womöglich gar karolingisch. Kaum mannshoch.

Aus groben Sandsteinquadern, beleuchtet von Lichtscharten. Eine Sensation. Nur Ladenburg besitzt ähnlich Archaisches. Dann die Enttäuschung. Der Biddersbach hatte die Krypta verschlammt und geflutet. Hätte man sie freigelegt, wäre womöglich die Kirche eingestürzt.

Mit blutendem Herzen retteten die Wiesenbacher einige romanische Relikte und schütteten ihr Kleinod zu. Dann bauten sie sich einen neuen Kirchenraum. Auf der durchbeteten Erde.

„Wiesenbach“, notierte Goethe auf der Durchreise, „ist ein sauberes Dorf.“

Die uralte Krypta ist romanisch, vielleicht sogar karolingisch.

Wiesenbach nennt sich gern „das Tor vom Kleinen Odenwald zum Kraichgau“. Tatsächlich besitzt die 3000-Seelen-Gemeinde sowohl Sandstein als auch fruchtbaren Löß. Schon die Römer wussten diese Lage zu schätzen. Wo sich heute die katholische und die evangelische Kirche Auge in Auge gegenüber stehen, befand sich im Jahr 150 eine „Villa rustica“. Plantagen, Beete, Felder, Treibhäuser.

Dahinter verlief die Fernstraße nach Würzburg. Auf ihr reiste später auch Goethe. „Wiesenbach“, notierte der Dichterfürst, „ist ein sauberes Dorf. Die Männer tragen blaue Röcke und mit Blumen gezierte weiße Westen.“

Die ehemalige Klosterkirche von Wiesenbach muss Romanik vom Feinsten gewesen sein.

Früher hätte man die alte Kirche einfach abgerissen. Heute baut man mit Beton an.

Unter den Karolingern, um 900, stand in Wiesenbach der Adelshof der Grafen von Lauffen. Bis ihnen die Ebene zu unsicher wurde. 1140 übersiedelte Graf Boppo in die Feste Dilsberg. Das Dorf Wiesenbach schenkte er der Benediktinerabtei Ellwangen. Mit der Bitte um Gebete für sein Seelenheil.

Der Ellwanger Abt erhobt Wiesenbach zur Propstei. Die Klosterkirche St. Georg muss Romanik vom Feinsten gewesen sein: Eine Basilika mit drei Schiffen und zwei Türmen am Westwerk. Die Krypta befand sich unter dem Ostchor. Man erreichte sie durch zwei tonnengewölbte Stollen. Im 15. Jahrhundert der Niedergang der Abtei. Dann die Reformation.

Als der Pfarrer nicht kam, baute man einfach weiter: Eine Kirche, eine Schule, ein Pfarrhaus mit Walmdach.

Erst 1748 witterten Wiesenbachs Katholiken wieder eine Chance auf Zukunft. Sie inspizierten den gewaltigen Steinhaufen, der einst die Klosterkirche war, und bastelten daraus ein Saalkirchlein. St. Michael. Die geheimnisvolle Krypta bemerkte niemand.

Die barocken Altäre hat ein Stifter eigens für Wiesenbach anfertigen lassen.

Als St. Michael fertig war, degradierte der Bischof die Kirche zur Filiale von Neckargemünd. Entsetzen in Wiesenbach. Eingedenk der stolzen Vergangenheit forderte man einen eigenen Pfarrer. Als er nicht kam, baute Wiesenbach einfach weiter. Eine katholische Schule. Ein Pfarrhaus mit Walmdach. Eine barocke Kirche mit drei Künstleraltären. Ein Stifter hatte sie eigens für St. Michael in Auftrag gegeben. Das war natürlich ein Wort. 1766 erhob der Bischof Wiesenbach zur Pfarrei.

Jetzt galt es, Barock und Beton spannend zu kombinieren. Dazu moderne Kunst und viel Gold.

Das Jahr 1977. Wiesenbach wuchs in rasendem Tempo. Im katholischen Kirchlein herrschte drückende Enge. Ein größeres Gotteshaus musste her. Noch paar Jahre zuvor hätte man die Barockkirche einfach abgerissen, zugunsten eines modernen Neubaus. Doch diese Zeiten waren vorbei. Gott sein Dank.

Nur der Steinaltar zeugt heute noch von der uralten Krypta.

Jetzt galt es, alt und neu spannend zu kombinieren. Die Südwand von St. Michael wurde abgetragen. Ein neuer, großer Kirchenraum aus Beton mit Zeltdach und Gemeindehaus angebaut. Sehr anspruchsvolle moderne Kunst und viel Gold rundeten die Melange ab.

Und die Krypta? Sie hat den Neubau vier Jahre lang lahmgelegt. Alles haben die Archäologen und Denkmalschützer versucht, um das Relikt aus dem 12. Jahrhundert zu retten. Vergebens. „Obwohl immer unter Einsatz von Pumpen gearbeitet wurde, konnte an keiner Stelle der Grund erreicht werden“, steht im Bericht. Aus der Traum. So schön er auch gewesen sein mag.

Kirchenfakten
Name: St. Michael
Adresse: Hauptstraße 54, 69257 Wiesenbach
Konfession: katholisch
Baujahr: 1741 / 1981
Baustil: Barock / Moderne
Kunstschätze:
– kleines „Krypta-Museum“ unter der Orgelempore mit Originalteilen aus dem 12. Jahrhundert
– Altarstein der Krypta im Pfarrgarten
– Hochwertiger barocker Hochaltar mit Retabel des Erzengels Michael, wahrscheinlich von Johann Georg Binder aus Heidenheim an der Brenz
– Zwei barocke Seitenaltären aus marmoriertem Holz (Maria Immaculata/Heiliger Josef)
– Moderner Altar mit Ambo, Vortragekreuz und Sedilien von Klaus Ringwald aus Schonach
– Moderne Medaillons (Leder auf Holz) von Bernd Wissler aus Elzach (eingearbeitet in die Altarwand)
– Moderne Glasfenster und Deckenmalereien von Valentin Feuerstein
Öffnungszeiten: tagsüber geöffnet
Kontakt: Pfarrbüro Wiesenbach, Hauptstraße 54, 69257 Wiesenbach
Telefon: 06223 – 44 10
E-Mail: wiesenbach@kath-neckar-elsenz.de
Internet: www.kath-neckar-elsenz.de

Ein Gedanke zu „Wiesenbach: Die versunkene Krypta

  1. Hallo Frau Deutsch,

    mit großer Freude hatte ich zunächst Ihren Bericht in der RNZett v 15.04.2021 gelesen.
    Heute habe ich auch sehr lange in Ihrem Block herumgestöbert und viele weitere, interessante Berichte gelesen.
    Sicher haben Sie auch schon einmal in die evangelische Kirche Wiesenbach geschaut. Haben Sie die Kirche nach der Renovierung von 1997/98 nochmals besucht?
    Sofern Sie hierzu mehr erfahren wollen, stelle ich Ihnen gerne weitere Kontakte her.

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