Der Kraichgau ist Meditation pur. Sanft folgt Hügel auf Hügel. Man gleitet dahin wie ein Schiff auf den Wellen des Meeres. Und mittendrin der Ausguck: Die stauferzeitliche Burg Steinsberg mit ihrem spektakulären achteckige Bergfried.
Ein Prisma aus gelbem Keupersandstein, 900 Jahre alt, 333 Meter hoch. Die höchste Erhebung, so weit das Auge reicht. Zu Füßen der Burg liegt, umgeben von Weinbergen, die St. Annakapelle. Verspieltes Rokoko, vergoldete Putten, verträumte Heilige. Ein katholisches Wallfahrtskirchlein aus dem Bilderbuch. Mittendrin im Urland des Protestantismus.
Alle Berggipfel krönten plötzlich Kapellen, die der Mutter Anna geweiht waren.
Das „Land der tausend Hügel“ gehört zu den frühesten Agrarlandschaften Europas. Wegen der überbordenden Fruchtbarkeit des Löss-Bodens.
Im Hochmittelalter zersplitterten die Kaiser den Kraichgau in kleine Parzellen, mit denen sie ihre Ritter belohnten. Burg reihte sich an Burg, Schloss an Schloss. Nirgendwo sonst war die politische Landkarte ähnlich kleinteilig und bunt.
Auf der Burg Steinsberg residierten die Freiherren von Venningen. Eine avantgardistische Familie. Was auch immer angesagt war, die Herren von Venningen hatten es. Im 16. Jahrhundert kam die Verehrung der Heiligen Anna in Mode. Alle Berggipfel krönten plötzlich Kapellchen, die der Mutter Mariens geweiht waren. Der Steinsberg durfte da nicht fehlen. Schon bald stand auch hier ein Annakirchlein aus Holz, zu dem Gläubige pilgerten.
Ein Blitz fuhr hernieder, die Kapelle auf dem Steinsberg ward.
Dann kam die Reformation. Die Kraichgauritter führten das neue Bekenntnis früh und flächendeckend ein. Vorbei war es mit der Verehrung der Mutter Anna auf dem Steinsberg. Ein Blitz fuhr hernieder, die Kapelle ward.
Das 17. Jahrhundert. Der Kraichgau glaubte noch immer treu evangelisch, nur auf dem Steinsberg geschah Seltsames. Johann Augustin von Venningen hatte sich entschlossen, zum katholischen Glauben zurückzukehren. Warum, weiß niemand. Da es in den Dörfern keine katholischen Kirchen mehr gab, ließ der Freiherr kurzerhand die St. Annakapelle wieder aufbauen. Im modernen barocken Stil. Mit vielen Schnörkeln und Putten. Nur die Maßwerkfenster im Chor kündeten noch von der gotischen Vorgängerin. Eine kleine Lindenallee und eine Einsiedlerhütte komplettierten die neue Wallfahrtskapelle. Über ihrem Eingang prangt die Jahreszahl 1749.
Zu dieser Zeit lebte die freiherrliche Familie schon nicht mehr oben in der Burg, sondern unten im Schloss Eichtersheim. 1777 gaben die Herren von Venningen die Burg endgültig auf. Seit 1972 gehört sie der Stadt Sinsheim.
1810 betrank sich ein Student bei der Wallfahrt so maßlos, dass er zu Tode stürzte
Ihr erstes Annafest erlebte das neue barocke Kapelle 1763. Die Wallfahrt entwickelte sich rasch zum Event. Alljährlich am 26. Juli pilgerten mehr als 500 Menschen hinauf auf den Steinsberg. Was harmloser klingt, als es war. Das Annafest in früheren Zeiten war wohl ein deftiges Volksfest. Mit Buden, Tanz und jeder Menge Bier.
1810 betrank sich ein Heidelberger Student so maßlos, dass er zu Tode stürzte. Das wäre fast auch das Ende der Annakapelle gewesen. Der Badische Großherzog, ein standhafter Lutheraner, verbot die Wallfahrt. Die Kapelle wurde geschlossen, die Einsiedelei abgerissen. In letzter Sekunde konnte der Hilsbacher Pfarrer verhindern, dass die Kapelle versteigert wurde. Erst 1863 durften wieder Gottesdienste auf dem Steinsberg gefeiert werden. Als stille Messen.
Heute pilgern die Kraichgauer Katholiken zwei Mal im Jahr hinauf zum Steinsberg. Am 26. Juli zum Fest der heiligen Anna. Und an Christi Himmelfahrt. Da umrunden sie in einer Flurprozession den ganzen Steinsberg. Der Ausblick ist einzigartig. Hügel so weit das Auge reicht.
Kirchenfakten |
Name: St. Annakapelle Adresse: Auf dem Steinsberg, Fürstenstraße 11, 74889 Sinsheim Konfession: katholisch Baujahr: 1749 Baustil: Rokoko Kunstschätze: – Barocker Hochaltar von 1769 – Barocke Kanzel – Hochaltarretabel: Heilige Anna mit ihrer Tochter – Maria (möglicherweise Egell-Schule) – Hübsche Engelputten – Barocke Skulpturen: Maria mit Kind, Judas Thaddäus – Sandsteinskulpturen am Außenportal: Maria Immaculata, Johannes Nepomuk Öffnungszeiten: Mai bis September, sonn- und feiertags 14.30 bis 17.30 Uhr Kontakt: Pfarrbüro Angelbachtal, Friedrichstr. 32, 74918 Angelbachtal Telefon: 07265 -256 E-Mail: pfarramt.angelbachtal@se-snh-ang.de Internet: www.se-sinsheim-angelbachtal.de |