Weinheim: Eine Stadt des Südens

Der Weinheimer Markt wird bekrönt von der katholischen Pfarrkirche St. Laurentius

Es ist Mai, die Erde duftet, die Rosen glühen. Hohe Zeit aufzubrechen. Der wärmste Ort Nordbadens ist Weinheim an der Bergstraße. Behaupten die Weinheimer. Tatsächlich liegt die Stadt paradiesisch. Lässig an die Hänge des Odenwaldes gelehnt, blickt sie hinaus in die fruchtbare Weite der Rheinebene.

Wie durch ein Wunder blieb Weinheim von allen Kriegen verschont. Nie zerstört münden die geschwungenen Gassen der Altstadt in einen mittelalterlichen Marktplatz, der an eine italienische Piazza erinnert. Sie wird bekrönt von der katholischen Pfarrkirche Sankt Laurentius. Hier beginnt unser Kirchenspaziergang.

Station 1: Sankt Laurentius am Marktplatz

St. Laurentius trägt seinen Rost stets bei sich

Der heilige Laurentius war hart im Nehmen. Als ihn die Schächer des römischen Kaisers anno 258 auf einem Rost über offenem Feuer zu Tode marterten, soll er ihnen zugerufen haben, sie mögen ihren Braten doch auch wenden. Auf einer Seite sei er schon gar. Kein Wunder angesichts so viel Coolness, dass Laurentius zu den populärsten Heiligen zählt. Zumal er auch bei Bränden jeglicher Art hilft. In Weinheim wacht Laurentius hoch oben in einer Mauernische über die Menschen der Stadt.

Die Pfarrkirche Sankt Laurentius blickt gen Westen. Das ist ungewöhnlich für ein katholisches Gotteshaus und wurde 1914 bei der Weihe heftig diskutiert. Doch schließlich überzeugte das Zusammenspiel von Kirche und Marktplatz, die über zwei Freitreppen miteinander verbunden sind. St. Laurentius zieht die Menschen magisch zu sich hinauf, der Platz ruft sie wieder herunter. Eine perfekte Symbiose.

In Weinheim, dem Wärmepol, pflanzten die Römer Mandeln und Pfirsiche

Weinheim zählt zu den frühest besiedelten Orten Deutschlands. Seit der Steinzeit leben Menschen an der Weschnitz. Um das Jahr 100 bauten die Römer die Bergstraße aus. 4,20 Meter breit, gepflastert, eine Wasserrinne in der Mitte. In Weinheim, dem Wärmepol, pflanzten sie Reben und Kastanien, Mandeln und Pfirsiche.

St. Laurentius, 1914 erbaut, erinnert stark an eine romanischen Basilika

Die Laurentiuskirche am Marktplatz ist eine Hommage an einen berühmten Sohn der Stadt: An den Architekten Heinrich Hübsch. 1842 avancierte er in Karlsruhe zum Badischen Oberbaudirektor. Obwohl evangelisch begeisterte Hübsch sich glühend für frühchristliche Kirchen, weshalb St. Laurentius einer romanischen Basilika gleicht. Drei Schiffe, das mittlere höher als die seitlichen, runde Obergaden-Fenster, Säulen, ein klar definierter Chor und Kappellen. Jeden Moment erwartet man mittelalterliche Mönche einziehen zu sehen.

Sie würden sich wundern über die barocken Altäre und Putten, die das Gotteshaus bevölkern. Das Interieur der barocken Vorgängerkirche nämlich wurde einfach in die neue Basilika übernommen. Dazu noch ein paar gotische Grabsteine und die mittelalterliche Fresken der Vor-Vorgängerkirche. Ein Besuch in dieser Kirche gleicht einem Bummel durch die Geschichte der Architektur.

Station 2: Das zusammengewürfelte Schloss

Renaissance, Barock und Neo-Renaissance – das Weinheimer Schloss eint viele Stile

755 wurde „Winenheim“ gegründet. Von einem Franken namens Wino, daher der Name. 861 berichten die Analen von einem ersten Kirchlein. Unten an der Weschnitz. Dort wird unser Kirchenspaziergang enden. Ab dem neunten Jahrhundert gehörte Weinheim dem Kloster Lorsch, das 1110 die Schutzburg Windeck errichten ließ. Die Wachenburg entstand erst 1913.

Wir verlassen St. Laurentius durch den Seitenausgang und stehen sofort mitten im Schloss. Heute dient es als Rathaus. Ein ungewöhnlicher Bau. Lang, zusammengewürfelt, verwirrend. Der mittlere Teil mit dem Obertor ist das originale Renaissanceschloss der Heidelberger Kurfürsten von 1537. Man nutzte es für Jagdausflüge. Ab 1547 quartierte sich der spätere Kurfürst Ottheinrich hier ein. Auf der Flucht vor seinen Gläubigern. Im Park zog er mediteranes Obst und Gemüse. Wie einst die Römer.

In Ottheinrichs Gemüsegarten wachsen heute exotische Baumarten

Das gelbe Barockschloss an der Südseite ließen die Erben der Ulner von Dieburg 1725 errichten. Sie waren die Verwalter der Kurfürsten und haben die Altäre für Sankt Laurentius gestiftet. Der jüngste Teil des Schlosses, gleich hinter der ältesten Zeder Deutschlands, ist Neo-Renaissance. Freiherr Christian von Berckheim ließ 1868 den verspielten Sandsteinturm mit Schieferdach, Erkern und Giebelchen errichten. Der Blaue Turm in Wimpfen diente als Vorbild. Ottheinrichs Gemüsegarten verwandelte der Freiherr in eine Exotenwald. Mehr als 170 verschiedenen Baumarten wachsen im Schlosspark.

Wir umrunden das Berckheimsche Schloss und stehen vor dem  romantischen Turm von Sankt Laurentius. Ihn hat Heinrich Hübsch noch selbst geplant. 52 Meter hoch. Das gewaltige Barockhaus, an das an die Kirche angebaut ist, war bis 1802 ein Kloster der Karmeliter. 1802 hat es die Säkularisierung aufgehoben. Heute dient es als katholisches Pfarrhaus. Ein Blick in den südlichen Garten lohnt.

Station 3: Marktplatz und Gerberviertel

Das Alte Rathaus war früher eine offene Markthalle

1232 schloss Kloster Lorsch für immer seine Tore. Weinheim fiel an den Mainzer Erzbischof, was den Pfalzgrafen in Heidelberg gar nicht scheckte. Kurzerhand bauten sie sich auf einem Hügel nur ein Meile enfernt eine eigene Stadt, umgeben von einer Zwingermauer. Drei der ehemals fünf Türme sind noch erhalten. Den Bürgern von Neu-Weinheim gewährten die Pfalzgrafen umfangreiche Privilegien, so dass die Stadt schnell zu Wohlstand gelangten. 1308 kapitulierte der Erzbischof. 1454 verschmolzen beiden Weinheims zu einer Stadt.

Der Markplatz. Die Drehscheibe Weinheims. Beherrscht wird der Platz vom steil aufragenden Alten Rathaus, einem prachtvollen Renaissancebau von 1557. Ursprünglich war das Rathaus ein Kaufhaus mit Gewölbekeller und offener Markthalle im Erdgeschoss. Den Bürgersaal, reich mit Renaissance-Malereien geschmückt, konnte man mieten. Das untere Ende des Weinheimer Marktplatzes markiert die Ulnersche Kapelle, bildhübsche Gotik aus dem Jahr 1386. Die Kapelle und das dazugehörige Armen- und Altenspital hat eine gottgeweihte Dame namens Hildegund gestiftet. Heute ist die Ulnersche Kapelle eine private „Eventlocation“. Sie kann nicht besichtigt werden.

Leder ist das älteste Bekleidungsmaterial des Menschen

Die schönen Fachwerkhäuser künden vom einstigen Wohlstand der Geber

Die wohlhabendsten Handwerker Weinheims waren von jeher die Gerber. Sie hatten ihre Werkstätten in der Unterstadt, wo der Grundelbach fließt. In ihm reinigten die Gerber die Tierhäute, bevor sie sie in eine Brühe aus der Rinde junger Eichen einlegten. Ein mühsames, übel riechendes Gewerbe, aber gefragt. Leder ist das älteste Bekleidungsmaterial des Menschen. Die Fachwerkhäuser im Gerberviertel sind reich verziert und wunderschön.

1849 gründete Carl Freudenberg in Weinheim die erste Fabrik für industriellen Ledergerbung. Heute beschäftigt die Freudenberg-Gruppe weltweit 49000 Mitarbeiter und macht einen Jahresumsatz von mehr als 9 Milliarden Euro. Die Firma ist noch immer im Familienbesitz. Das Stammwerk steht noch immer an der Weschnitz.

Die Reformation kam 1558 nach Weinheim. Als Bildersturm. Gnadenlos ließ Kurfürst Ottheinrich allen Schmuck und alle Altäre „aus den kirchen thun und hinweg verschaffen“. Ein Bildersturm. Selbst die hübschen Fresken in der kleinen Peterskirche an der Weschnitz übertünchte man. 300 Jahre später wurden sie entdeckt und gerettet. Sie sind heute im Museum der Stadt Weinheim zu sehen.

Das Gerben von Leder war übel riechendes aber lohnendes Gewerbe

Seit 2005 steht die gesamte Innenstadt unter Denkmalschutz

Das 17. Jahrhundert. Der Dreißigjähriger Krieg, drei Mal die Pest, der Pfälzischer Erbfolgekrieg. 1694 stürmten die französischen Truppen gen Weinheim. In letzter Sekunde öffnete man ihnen die Tore. So kam Weinheim unzerstört, wenn auch ausgeplündert davon. Seit 2005 steht die gesamte Innenstadt unter Denkmalschutz. Mit mehr als 45000 Einwohner ist Weinheim inzwischen die größte Stadt im Rhein-Neckar-Kreis.

Wir werfen noch einen wohlgefälligen Blick in die evangelische Stadtkirche schräg gegenüber vom Alten Rathaus. Ein schlichter barocker Saal. Hell. Mit schöner Empore, imposanter Kanzel und historistischen Fenstern. Dann machen wir uns auf zum Weg hinunter zur Weschnitz. Hier steht die Peterskirche, die größte und spannendste evangelische Kirche der Stadt. Orientierungsvermögen braucht man nicht. Es geht immer die Hauptstraße entlang.

Station 4: Die Peterskirche

Inspiriert von den beiden Weinheimer Burgen: Die Peterskirche von 1910

Die evangelische Peterskirche könnte problemlos als dritte Weinheimer Burg durchgehen. Wuchtige Sandsteinquader türmen sich zu einer Festung mit Erkern und Zinnen. Ein Bollwerk Gottes. Von außen. Innen steht man im Jugendstil-Wunderland. Zarte Kacheln, filigrane Glasmalerei, märchenhafte Fabelwesen. An der Kanzel kauern Löwen, auf den Pilastern tummelt sich Meeresgetier. Der Kirchenraum strebt 12 Meter hinauf zum Himmel und fasst 1300 Gläubige.

Der Heidelberger Oberbaurat Hermann Behaghel hat die spektakuläre Kirche gebaut. 1910. Mit 72 Jahren. Als Krönung seines Lebenswerks. Die Peterskirche ist die perfekte evangelische Kirche: Kanzel und Altar stehen auf gleicher Höhe, direkt darüber schwebt die Walker-Orgel unter einem Sternenhimmel. Sie besitzt vier Manuale, das ist einzigartig im Rhein-Neckar-Raum.

Groß, verspielt und perfekt evangelisch: Der Innenraum der Peterskirche

Dieser kompakten Stirnseite stellte Behaghel große Fensterflächen gegenüber. Die rückwärtige zeigt Jesus bei der Bergpredigt. Ein Kirchenraum, der die Gemeinde umhüllt wie eine schützende Burg und ihr zugleich einen Vorgeschmack gewährt auf die Helligkeit des Himmels. Manchmal kann man diesem sogar ganz nahe kommen. Der Turm der Peterskirche besitzt eine Galerie mit Umgang in 32 Metern Höhe. Da liegt einem die ganze Stadt des Südens zu Füßen.

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