Diesen Raum muss man erst einmal aushalten. Überall Wunden. Die schlanken gotischen Fenster: Brutal herausgebrochen. Die zarte romanische Malerei: Von einer Tür zerteilt. Über dem Langhaus: Ein Scheunendach aus rohen Fichtenbrettern.
Tatsächlich darbte Kloster Lobenfeld jahrhundertelang als Tabakscheuer und Schafstall. Erst vor zwanzig Jahren konnte das romanische Kleinod gerettet werde. Die Sanierung ist ein Meisterwerk. Die Verletzungen des Raumes wurden nicht nicht geheilt und sind alle noch sichtbar. Doch dank der federleichten High-Tech-Einbauten aus Glas und Metall schmerzen sie nicht mehr. Ein sakrales Loft. Moderner geht’s nicht.
Den Chor zieren traumschöne Malereien, auf der Fensterbank kauern Bestien
Das Leben im Mittelalter war flüchtig. Recht, Sicherheit und Zukunft kannte man nicht. Der Tod und die Angst vor dem Jüngsten Gericht hingegen waren allgegenwärtig. Weshalb die Menschen viel beteten und spendeten.
1145 schenkte Meginlach von Obrigheim sein Landgut in Lobenfeld dem Augustinerorden. Die Mönche machten sich sofort ans Werk. In Lobenfeld sollte eine Kirche entstehen, die sich mit dem romanischen Dom von Worms messen konnte.
Den kühnen Chor zierten traumschöne Malereien. Die massiven Sandsteinsäulen waren geschmückt mit Kapitellen und Gesimsen. Auf den Fensterbänken kauerten steinerne Bestien. Alles war üppig, alles war facettenreich.
Das hohe Nonnenhaus riss man ab, weil es darin angeblich spukte.
Nur das dreischiffige Langhaus wurde nie gebaut. Noch vor 1200 stoppten die Augustiner die Gründung, vermutlich aus Mangel an Mönchen. Stattdessen zog ein Konvent von Zisterzienserinnen ins neue Kloster. Den Schwestern genügte eine schlichte Halle mit Empore. 1562 räumte die calvinistische Reformation die Kirche leer und übertünchte die Malereien. Das Kloster ward.
Die Gebäude starben langsam. Das hohe Nonnenhaus riss man ab, weil es darin angeblich spukte. Das Langhaus, dessen Dach längst eingestürzt war, nutzte die katholische Kirche als Schafstall, Scheune und Tabakscheuer.
Nur im ehemaligen Chor wurde noch gebetet. Er dient seit 1822 als evangelische Kirche von Lobenfeld. Ihre Eingangstür wurde in die Ostwand eingebrochen. Dort, wo einst der Hochaltar stand. Bei den Arbeiten entdeckte man die Fresken und legte sie frei. Mit Drahtbürsten. Die Malereien verloren dadurch sehr viel von ihrer Farbigkeit. Erst 2008 wurden die Fresken fachgerecht restauriert. Da war das Wunder von Lobenfeld bereits geschehen.
Innen: Wärme und Technik. Außen: Wunden aus neun Jahrhunderten
Das zweite Leben von Klosters begann in den 1980er Jahren, als die Katholiken das Langhaus nicht mehr als Scheune benötigten. Sie verkauften es an die politische Gemeinde von Lobenfeld, die daraus eine Turnhalle machen wollte. Namhafte Denkmalschützer aus der ganzen Region liefen Sturm. Sie forderten eine Wiedervereinigung von Chor und Langhaus. Schließlich kapitulierte der Bürgermeister und verkaufte das Langhaus an die Evangelische Kirche. Seit 2006 ist Kloster Lobenfeld das „Geistliches Zentrum“ des Kirchenbezirks Neckargemünd-Eberbach. Zu den Vorträgen, Konzerten und Seminaren reisen die Menschen von weither an.
Sie versammeln sich in einem gläsernen Kubus, den Architekt Hans Stadler in das Langhaus hineingeschoben hat. Innen: Wärme und modernste Technik. Außen: Die Wunden, die neun Jahrhunderte geschlagen haben.
Die Wände liegen rau und unverputzt. Die Fenster wurden nicht repariert, sondern großflächig von außen verglast. Und die Orgelempore verdeckt noch immer einen Teil des romanischen Christophorus. Die Decke des Glaskastens ist eine Empore. Eine filigrane Treppe führt dorthin, wo einst die Nonnen gebetet haben.
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