10. Heidelberger Frauenwallfahrt: Drei Weltreligionen in 20 Minuten

Der 9. Januar 2016 war zwar ein trüber, aber trockener und frostfreier Tag. Um die Mittagszeit kletterte die Temperatur sogar auf stolze zehn Grad. Die S 2 startet pünktlich um 9.33 Uhr vom Heidelberger Hauptbahnhof. Knapp eine Dreiviertelstunde später standen wir schon im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses.

Mannheim war einst eine der schönsten Städte der Welt. Unter Kurfürst Karl Theodor stand hier das zweitgrößte Barockschloss, nach Versailles. Das Mannheimer Schloss war umgeben von einer traumhaften Parklandschaft, die sich weit am Rhein entlangzog. Man feierte höfische Feste, musikalische Soireen erklangen, Jagdgesellschaften brachen auf. Der Mannheimer Hof galt als Weltzentrum der Wissenschaft und der Kunst. Voltaire schaute regelmäßig vorbei. Mozart wäre gern für immer geblieben, aber niemand bot ihm eine Stelle an. So sehr strahlte Mannheim.

Von all diesem Glanz ist nichts geblieben. Die Brandbomben des Zweiten Weltkriegs haben die Stadt zu 80 Prozent ausgelöscht. Nach dem Krieg wurde immerhin der mittlere Teil des Schlosses wieder aufgebaut, so dass man den einstigen Glanz wenigstens erahnen kann. Im Schloss residiert jetzt die Universität.

Mannheim versteht sich heute als Prototyp einer modernen Multi-Kulti-Metropole. Wer es sehr eilig hat, kann hier drei Weltreligionen in nur zwanzig Minuten kennenlernen. Wir gingen es gemütlicher an. Unsere Wallfahrt startete in der Schlosskirche. Und im Jahr 1720.

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In diesem Jahr nämlich hatte der katholische Kurfürst Carl Philipp die Nase endgültig voll von den calvinistischen Heidelbergern, das ihm partout die Heiliggeistkirche nicht als Hofkirche überlassen wollte. Auch das Heidelberger Schloss, halb zerstört und verfallen, entsprach keineswegs seinem barocken Geschmack. Und überhaupt war ihm Heidelberg viel zu eng.

Weshalb Carl Philipp kurzerhand beschloss, in die Weite Rheinebene überzusiedeln. Dort draußen beim Dörfchen Mannheim war genügend Platz war für ein deutsches Versailles. 600 Zimmer zählte das Mannheimer Schloss in seiner Blütezeit. Das war genau ein Fenster mehr, als die Konkurrenz drüben in Versailles besaß. Darauf hatte Kurfürst Carl Philipp penibel geachtet. Mehr als 900 Lakaien bedienten die fürstliche Familie.

Das Schloss stand an der höchsten Stelle neuen Residenzstadt, die zeitgleich aus dem Boden gestampft wurde. Schön symmetrisch. Alle Straßen der Mannheimer Innenstadt sind noch heute als Quadrate angelegt, die Adressen folgen dem Alphabet. Die Quadrate A 1 und L 1 liegen direkt dem Schloss gegenüber.

Station 1: Die Schlosskirche 

Kurfürst Carl Philipp war schon über fünfzig Jahre alt, als er den Grundstein für seine Mannheimer Residenz legte. Ihm war klar, dass er die Fertigstellung – vierzig Jahre später – nicht mehr erleben würde. Der Regent ordnete deshalb an, dass die Schlosskirche zuerst in Angriff genommen werden sollte. Als repräsentative Grablege der Pfalzgrafen bei Rhein.

Die Schlosskirche fügt sich heute so nahtlos ins Gesamtensemble ein, dass es ein hübsches Suchspiel für Fremde ist, sie zu identifizieren. Sobald sich jedoch ihr Portal öffnet, steht man in einem lichten, eleganten Gotteshaus mit imposantem Hochaltar und üppigem Deckengemälde. Es ist eine sehr schöne Hallenkirche im Stil des leichten, verspielten französischen Barock.

Doch leider ist die Schlosskirche heute nicht mehr echt, sondern „nachgeschöpft“. Im Original, dass die Bomben vernichtet haben, muss sensationell gewesen sein.

Den Hochaltar umrahmten einst gewaltige Emporen, auf denen das berühmte Mannheimer Orchester untergebracht war. „Ich wollte lieber ein paar Finger verlieren, als die Christmette in der Hofkirche zu Mannheim verpassen“, notierte der Dichter Christoph Martin Wieland anno 1777. Die Rückempore trug die verglaste und beheizte Loge, von der aus der Kurfürst dem Gottesdienst folgte.

An der Decke über ihm öffnete sich eine Kuppel, die direkt in einen zartblauen Himmel hineinzublicken schien, bevölkert von tausenden von Engeln und Heiligen. Cosmas Damian Asam, der bekannteste Freskenmaler seiner Zeit, hatte dieses Meisterwerk geschaffen. Tout perdu! Das heutige Deckenfresko stammt von einem Ladenburger Maler.

Tief unten in ihrer Gruft birgt die Schlosskirche noch ein Geheimnis: Hier stehen seit 1948 zwei phantastische barocke Särge, in denen Kurfürst Carl Philipp und seine dritte Ehefrau Violanta von Thurn und Taxis ruhen. Er starb 1743, sie neun Jahre zuvor. Bestattet wurden die Beiden ursprünglich in der Krypta der Jesuitenkirche, wo sie zweihundert friedliche Jahre verbrachten. Dann verwandelten die englischen Bomber die Basilika in einen rauchenden Trümmerhaufen, und die Prunksärge standen ungeschützt im Freien. Das Diadem der Fürstin verschwand sofort. Es ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Aktion tat dringend Not, befanden zwei Handvoll Mannheimer Honoratioren und wuchteten schwer atmend die beiden Särge hinab in die unzerstörte Krypta der Schlosskirche. Hier unten im wohlgeschützten Dunkel überfiel die Herren plötzlich die Neugier: Was, wenn sie einen Blick in die Särge würfen?

„Violanta war nicht einbalsamiert, sondern ist in ihrem Sarg verwest“, notierte Erna Reidel in der „Badischen Heimat“, Jahrgang 1952. Der Kurfürst jedoch „lag einbalsamiert und mumifiziert im schwarzen Ordenskleid“ in seinem Sarg. „Die Kleidung war wohlerhalten, die Schnallenschuhe erschienen fast neu.“

Auf einer Fotografie vom offenen Sarg kann man sogar die Gesichtszüge des Kurfürsten erkennen. 206 Jahre nach seinem Tod.

Der geöffnete Sarg
im Jahr 1948

Der Kurfürst und seine Violanta liegen noch heute in dieser Gruft unter der Schlosskirche. Denn schon 1947 hatten die Mannheimer entschieden, ihr zerstörtes Schloss wieder aufzubauen. Gott sei Dank!

Die Schlosskirche dient heute der altkatholischen Gemeinde als Pfarrkirche. Die Altkatholiken haben sich 1874 von der Kirche Roms getrennt. Weil sie das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes nicht mittragen wollten. Die altkatholische Kirche ist synodal verfasst und weiht auch Frauen zu Priesterinnen. Die Priester werden von ihren Gemeinden gewählt und dürfen heiraten. In Deutschland glauben etwa 16 000 Menschen altkatholisch.

Man kann die prunktvollen fürstlichen Zinksärge besichtigen, wenn man im altkatholischen Pfarramt darum bittet.


Beim Abschied von der Schlosskirche warfen wir noch einen langen Blick auf das Giebelrelief über dem Eingang. Der berühmte Bildhauer Paul Egell geschaffen hat. Es zeigt die göttliche Dreifaltigkeit. Das Relief ist das einzige Stück Schlosskirche, das die Bombennächte überlebt hat. Unversehrt.

Station 2: Die Jesuitenkirche

Tritt man von der Schlosskirche hinaus auf den Ehrenhof, so kann man schon einen ersten Blick auf die stattliche Kuppel der Jesuitenkirche erhaschen. Doch leider ist auch dieses Gotteshaus eine „Nachschöpfung“.

Ursprünglich war die Jesuitenkirche Teil des Schlosses. Ein langer Trakt, in dem Jesuitenpatres lebten, verband das Schloss mit der Kirche. Nach dem Krieg wurde dieses Verbindungsstück nicht wiedererrichtet. Stattdessen braust jetzt vierspurig der Verkehr zwischen Schloss und Gotteshaus. Die neue Bismarckstraße, die zur Konrad-Adenauer-Brücke führt, verbindet seit 1959 Mannheim mit Ludwigshafen.

Die Jesuiten waren der Hausorden von Kurfürst Carl Philipp. Schon in seiner Jugend in Düsseldorf hatten sie ihn erzogen. Die Gesellschaft Jesu blieb bis zu seinem Tod engster Berater des frommen Fürsten. Carl Philipp war bekannt dafür, dass er stundenlang ausgestreckt auf dem Boden der Schlosskirche betete.

Die Weihe der Mannheimer Jesuitenkirche, die sein barockes Ensemble vollenden sollte, hat Carl Philipp allerdings nicht mehr erlebt. Das Gotteshaus wurde erst neunzehn Jahre nach seinem Tod fertiggestellt. Von seinem Schwiegersohn und Nachfolger Karl Theodor.

Unter Karl Theodor begann die glanzvollste Zeit Mannheims. Der Hof gab weltweit den Ton an in Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Voltaire war Stammgast. Mozart wäre für sein Leben gern hier fest engagiert worden, aber man hat ihn nicht genommen.

Die „Basilica Carolina“ war Karl Theodors letztes großes Bauvorhaben am Rhein. Sie sollte die Krönung der Residenz werden. Mit einer 75 Meter hohen Kuppel, einer Schaufassade aus rotem Sandstein und zwei Türmen.

Dumm nur, dass der Bauplatz eigentlich viel zu schmal war für solch eine opulente Fürstenkirche. Architekt Allesandro Galli da Bibiena musste das Querschiff extrem zusammenquetschen, um die Kuppel darüber stülpen zu können. Man sagt, in Mannheim stünde die „Basilika mit den schmalsten Schultern der Welt“.

Doch daran störte sich niemand mehr, sobald sich die schwere Tür geöffnet hatte. Strahlende Helligkeit flutete dem Kirchenbesucher entgegen. Gold und Marmor glänzten, wohin man auch sah. Die Decke hatten wieder die Münchner Starmaler Cosmas Damian und Egid Quirin Asam bemalt.

Egid Quirin, 58 Jahre alt, ist dabei ums Leben gekommen. Er stürzte tragisch vom hohen Gerüst. Leider weiß heute niemand mehr, wo er begraben liegt. Die Fresken der Asam-Brüder schilderten das Leben des heiligen Ignatius von Loyola, der den Jesuitenorden gegründet hat, und des heiligen Franz Xaver. Die beiden Patres wachen bis heute als Patrone über die Kirche.

Doch leider konnten auch sie nicht verhindern, dass das phantastische Deckengemälde der Gebrüder Asam in den frühen Morgenstunden des 6. September 1943 zerstört wurde. Zusammen mit der prachtvollen Kuppel und dem traumhaften Marmoraltar. Am 13. Januar 1945 vollendete eine Sprengbombe, die durch das offene Kuppeldach direkt ins Kirchenschiff fiel, das Vernichtungswerk. Die meisten barocken Kunstwerke der Jesuitenkirchen haben im Bunker überlebt. Das Gotteshaus selbst jedoch war reif zum Abbruch.

Doch so schnell geben Mannheimer Jesuiten nicht auf. „Jeden Tag, bei jedem Wetter, sommers wie winters feierte Pater Franz Meßbacher in den Ruinen der Kirche eine Heilige Messe“, heißt es in der Chronik. Und das „Wunder von Mannheim“ geschah tatsächlich. Die Spenden begannen zu fließen; Stein für Stein bauten die Handwerker die Kirche wieder auf. Am 6. November 1960 konnte der Freiburger Erzbischof Herrmann Schäufele die „neue“ Jesuitenkirche weihen.

Ihr Altar war schrecklich. Ein unbedeutendes, staksiges Provisorium im Stil der Fünfziger Jahre, das sich im gewaltigen Chor verlor. Doch was sollte man tun? Einen modernen großen Hochaltar in Auftrag geben? Oder aber den ursprünglichen Barockaltar nachbauen? Zwanzig Jahre zog sich diese Diskussion hin.

Erst im Juli 1986 verkündete das Landesdenkmalamt: Die Mannheimer Jesuitenkirche erhält eine „schöpferische Kopie“ ihres ehemaligen Hochaltars. Als Vorlage sollten zwei vergilbte Fotografien dienen. Das hatte zuvor noch nie jemand gewagt. Eine Sensation!

Elf Jahre und 16 Millionen Mark verschlang die „Nachschöpfung“. 1997 war „das Wunder von Mannheim“ vollendet: Ein riesiger freistehende Hochaltar, 243 Tonnen schwer und ausschließlich aus historischen Materialien gefertigt. Den Mittelpunkt des „neuen“ Altars bildet ein Tabernakelhaus. Seine Tür ziert ein goldenes Lamm. Es ist das einzige barocke Original, das die Zerstörung überlebt hat.

Die Moderne kommt in der Jesuitenkirche trotzdem nicht zu kurz. Vor der Nachschöpfung steht ein federleichter Zelebrationsaltar von Alfred Ringwald, auf dem 748 Rosen blühen. In glänzendem Silber.

Rechts neben dem Altarraum steht eine moderne Büste. Karlheinz Oswald hat sie geschaffen. Das zerklüftete Gesicht ist eine Verneigung vor dem Jesuitenpater Alfred Delp. 1907 wurde er in Mannheim geboren, 1944 von den Nationalsozialisten in einem Berliner Gefängnis ermordet.

Pater Delp stammte aus einfachsten Verhältnissen. Obwohl das Kind katholisch getauft worden war, erzog ihn die Familie evangelisch und ließ ihn sogar konfirmieren. Doch dann erkannt ausgerechnet der katholische Dorfpfarrer das intelektuelle Potential des Jungen und förderte ihn.

Nach dem Abitur auf einem katholischen Internat trat Alfred Delp ins Noviziat der Jesuiten ein. Er studierte Theologie in München und profilierte sich – mitten im Nazi-Deutschland – als Vordenker der christlichen Soziallehre. Delps Grundgedanke: Ein Mensch muss ein Minimum an menschenwürdigem Lebensraum haben, um Gottes überhaupt fähig zu sein.

Delps Lösung: Eine neue Gesellschaftsform jenseits von Kapitalismus und Marxismus.  Er nannte sie „Personalen Sozialismus“ und brannte darauf, dieses System nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes, den er schon bald erwartete, in einem demokratischen Deutschland zu installieren.

Am 28. Juli 1944, nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, verhaftete die Gestapo Pater Delp in München und brachten ihn in die Haftanstalt Berlin-Tegel. Man folterte ihn. Man ließ ihn monatelang in Einzelhaft vegetieren. Sein Ringen mit Gott in dieser Zeit dokumentieren Tagebuchnotizen, die Delp mit gefesselten Händen schrieb und aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. Im Dezember 1944 legte Alfred Delp im Gefängnis die ewige Profess ab. Am 31. Januar 1945 wurde der Pater am Galgen ermordet. Er war 37 Jahre alt.

Bei der kostbaren Strahlenkranz-Madonna hielten wir eine kleine Andacht. Dann machten wir uns auf zur Eroberung der Quadrate.

Station 3: Durch die Quadrate

An der Jesuitenkirche bog unser Weg gleich scharf nach links ein. In B4 steht das Ursulinenkloster mit angeschlossenem Mädchen-Gymnasium. Nur noch Schwester Regina Hunter lebt heute noch in dem Konvent, der einst so zahlreich war, dass die Schwestern die gesamte Schulleitung selbst in die Hand nehmen konnten.

Heute ist das „Ursulinen“ ein staatlich anerkanntes, dreizügiges Gymnasium für Jungen und Mädchen, das von der Erzdiözese Freiburg getragen wird. Rund 600 Schülerinnen und Schüler bereiten sich hier aufs Abitur vor. 

Die Teilnahme am katholischen oder evangelischen Religionsunterricht ist am „Ursulinen“ verpflichtend. Ebenso wie die Teilnahme an den Schulgottesdiensten. Das Fach Ethik gibt es nicht. Bisher kam am Ursulinen-Gymnasium in jedem Jahr ein Leistungskurs Religion zustande.

Im Quadrat F3 passieren die moderne Jüdische Synagoge, die leider mehr denn je rund um die Uhr von der Polizei bewacht werden muss.

Die jüdische Synagoge ist umgeben von türkischen Restaurants

Etwa 500 Mitglieder zählt die jüdische Gemeinde Mannheims heute. Die Hälfte stammt aus der ehemaligen Sowjetunion. Vor der Shoa lebten mehr als 7000 Juden in der Quadratestadt. Außer einem winzigen Glöckchen von einem silbernen Tora-Behälter ist nichts von diesem blühenden Gemeindeleben geblieben. Das ist die Vergangenheit. In der Gegenwart sind Führungen durch die Synagoge sehr gefragt. Man muss sich langfristig anmelden.

Station 3: Trinitatis

Spannend wird es in G4. Hier steht seit 1709 die evangelische Trinitatis-Kirche. Sie illustriert den anderen Weg, den Mannheim nach dem Krieg hätte gehen können. Denn auch Trinitatis lag in Trümmern.

Avantgarde: Helmut Strifflers
Trinitatis-Kirche
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Doch die Protestanten schöpften nicht barock nach, sondern ließen vom ambitionierten Architekten Helmut Striffler eine supermoderne Kirche entwerfen: Puristischer Sichtbeton kombiniert mit Lichtexperimenten. „Alles Ma­te­rial tritt un­ver­klei­det auf. Die la­pi­da­ren Ge­gen­sätze von Stein, Glas, Holz und Me­tall be­herr­schen den Bau und geben ihm ar­chai­sche Würde. Klein­li­che Zutat fehlt gänz­lich“, sagte Striffler bei der Einweihung 1959.

Die Tri­ni­ta­tis­kir­che fand in Ar­chi­tek­ten­krei­sen welt­weit Be­ach­tung. Bis heute pilgern Fans wegen dieser Kirche nach Mannheim. 1995 schaffte es Trinitatis als eine von ganz wenigen Beton-Kirchen in die oberste Denkmalschutz-Kategorie.

Ihr Turm ist mittlerweile akut einsturzgefährdet.

Leider steht das Gotteshaus an der falschen Stelle. In den G-Quadraten leben fast nur noch türkischstämmige Mannheimer. Gottesdienste gibt es in Trinitatis schon lange keine mehr. Die Gemeinde fehlt. Bald soll ein Tanztheater einziehen.

Knapp 300 000 Einwohner zählt Mannheim. Davon sind nur mehr 27,8 Prozent katholisch und 22,7 Prozent evangelisch. Die andere Hälfte gehört einer anderen Religion oder Konfession an. Oder sie lebt ohne Gott. Eine säkulare Stadtgesellschaft. 43,6 Prozent der Mannheimer haben Migrationshintergrund. Die größte Gruppe stammt aus der Türkei. Es gibt aber auch viele Polen, Italiener, Rumänen und Bulgaren.

„Die Filsbach“, wie die Mannheimer die Quadrate F, G und H nennen, ist fest in türkischer Hand. Doch mitten zwischen Lahmacun, Baklava und Brautmoden steht die Synagoge. Seit 24 Jahren erhebt sich das jüdische Versammlungshaus mit seiner eindrucksvollen Kuppel über dem Quadrat F3.

Station 4: St. Sebastian

Am Marktplatz treffen wir das älteste Originalbauwerk Mannheims: Die katholische Pfarrkirche St. Sebastian wurde 1706 zusammen mit dem damaligen Rathaus als barocker Doppelbau errichtet. Vom einst prachtvollen Innenleben der Kirche ist leider kaum etwas erhalten. Lediglich der linke Seitenaltar stammt noch aus dem Jahr 1778. Er enthält eine Reliquie des heiligen Theodor, die Kurfürst Karl Theodor in Rom erworben hat. 

Die bildhübsche klassizistische Madonna mit Kind schuf Peter Anton von Verschaffelt.

„Mannheimer Symmetrie“ Teil zwei gibt es jenseits der „Breiten Straße“: Die evangelische Konkordienkirche, das größte evangelische Gotteshaus in der Innenstadt, teilt sich seit 1717 das Gebäude mit der Mozart-Grundschule. Konkordien ist stolz darauf, den höchsten Kirchturm der Quadratestadt zu besitzen.

Alljährlich im Januar verwandelt sich die Konkordienkirche für sechs Wochen in die Mannheimer „Vesperkirche“. An langen Tischen servieren mehr als 50 ehrenamtliche Helfer Mittag für Mittag eine kostenlos warme Mahlzeit an die Ärmsten der Stadt. Beim Start der Vesperkirche im Jahr 1998 kamen 60 Essensgäste pro Tag. 2017 waren es mehr als 600. Der Speiseplan ist abwechslungsreich. Ein Team von Profiköchen kocht. Jeden Tag gibt es einen anderen Nachtisch.

Station 5: Konkordienkirche

Die letzte Station unserer Mannheim-Wallfahrt führt durch die H-Quadrate hinunter zum Luisenring. Hier stehen Auge in Auge die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee und die katholische Liebfrauenkirche.

Tausendmal fotografiert sind die beiden Gotteshäuser zum Symbol geworden für den Dialog der Religionen. Mit ihren 2500 Gebetsplätzen war die Moschee lange Zeit das größte islamische Gotteshaus Deutschlands. Seit 2008 gibt es in Duisburg ein größeres.

Station 6: Finale am Neckar

Spannendes Miteinander: Die Moschee und die Liebfrauenkirche

Die neugotische Liebfrauenkirche aus dem Jahr 1905 dagegen hat schon lang keine Gemeinde mehr. Die Kircher verfiel vor sich hin, schließlich bestand sogar Einsturzgefahr. Dann kam 2012 der Katholikentag nach Mannheim. Im Vorfeld der Großveranstaltung investierte die Erzdiözese Freiburg 18 Millionen Euro, um 14 Mannheimer Kirchen auf Vordermann zu bringen. Darunter war auch die Liebfrauenkirche.

Seit ihrer Wiedereröffnung ist sie die katholische Jugendkirche für gesamte Rhein-Neckar-Region und nennt sich „Samuel“. Der Prophet Samuel, erzählt das Alte Testament, wurde schon als Jugendlicher von Gott gerufen.

Mannheim ist weltweites Symbol
für den Dialog der Religionen

In Samuel geht es bunt zu – und flexibel. Papphocker statt Kirchenbänke und Bands statt Orgel. Als Kerzenständer dient eine alte Badewanne, die mit Sand gefüllt ist. Die Gottesdienste zelebriert Pfarrer Daniel Kunz an einem mobilen Altar aus Plexiglas, der immer an einer anderen Stelle steht. Es soll auch schon Jugendgottesdienste in der Straßenbahn oder im Planetarium gegeben haben.

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