1. Heidelberger Frauenwallfahrt: Schwarz und schön

Der 13. Dezember 2013 war ein nebliger, klammer Tag. Tief hingen die Wolken über der Bergstraße, als wir gegen 11 Uhr mit der Straßenbahn Linie 5 an der Station „Leutershausen Bahnhof“ anlangten.

Leutershausen, ein Dorf mit rund 6100 Einwohnern, liegt an der Badischen Bergstraße und gehört zur Verbundgemeinde Hirschberg. Von Heidelberg aus erreicht man es in knapp einer halben Stunde.

877 gegründet, befand sich Leutershausen bis zum 12. Jahrhundert im Besitz des Benediktinerklosters Lorsch. Nach der Auflösung der Abtei fiel der Weiler an die Edelfreien von Hirschberg. Reste der „Hirschburg“ sind oberhalb des Dorfes noch erkennbar.

Nach der Verwüstung kehrte der Katholizismus zurück

Die Geschichte der Wallfahrt nach Leutershausen beginnt im 17. Jahrhundert. Mit der Verwüstung eines ganzen Landstrichs. Der Dreißigjährige Krieg und der Pfälzische Erbfolgekrieg hatten die Kurpfalz völlig zerstört. Nichts war mehr übrig von der strahlenden Stadt Heidelberg, dem glanzvollen Mittelpunkt der reformierten Welt. Das prächtige Renaissance-Juwel lag ebenso verheert wie die gesamte Bergstraße. Totes Land.

In dieser desolaten Situation übernahm eine neue Herrscherfamilie die Macht in der protestantischen Kurpfalz: Die Kurfürsten von Pfalz-Neuburg kamen aus Düsseldorf und glaubten streng katholisch. Was die Kurpfalz auch wieder tun sollte, fanden die Rheinländer. Und besetzten alle Führungspositionen mit Katholiken.

Einer der engsten Vertrauten des neuen Kurfürsten war Graf Franz Melchior von Wiser. Graf von Wiser kam aus Österreich und war natürlich Katholik. Im Jahr 1700 übereignete ihm der Kurfürst das Lehen für den zerstörten Weiler Leutershausen, den der Graf sofort zum Lebensmittelpunkt seiner künftige Dynastie bestimmte. Nur wenige Jahre später zierte ein schmuckes Barockschloss im „oberitalienischen Stil“ das Bergstraßen-Dorf. Bis heute lebt die Grafenfamilie im „Heisemer“ Schloss und bewirtschaftet ausgedehnte Ländereien.

Als der Blitz im Schloss einschlug, legte der Graf ein Gelübde ab

1705 ließ Kurfürst Johann Wilhelm die Kirchen der Kurpfalz unter den Konfessionen aufteilen. Das gotische Kirchlein von Leutershausen oben am Hang fiel an die Protestanten, die zwei Drittel der Bevölkerung stellten.

Die Katholiken – kräftig unterstützt von der Grafenfamilie – fanden diese Entscheidung absolut ungerecht und beschwerten sich an oberster Stelle. Mit Erfolg. 1707 wurde mitten in der Kirche eine raumhohe Mauer aufgerichtet. Die Katholiken feierten ihre Gottesdienste nun im gotischen Chor, die Protestanten im Langhaus.

Ein lichtloses Provisorium, das einer Grafenfamilie eigentlich nicht zumutbar war. Als dann während eines Gewitters auch noch ein Blitz durch den gräflichen Salon fegte und die Familie wie durch ein Wunder nur knapp verfehlte, legte Graf Ferdinand Andreas von Wiser ein Gelübde ab. Er würde eine Kapelle bauen. Für seine Familie und für das ganze katholische Leutershausen.

Eine Pilgerreise nach Loreto war das Angesagteste überhaupt

Tatsächlich wuchs 1742 im Schlosshof eine Kapelle nach dem Vorbild des italienischen Wallfahrtsortes Loreto empor. Mit einer pechschwarzen Madonna als Gnadenbild. Der Graf hat es sich mit Sicherheit nicht nehmen lassen, die Madonna persönlich in Italien in Auftrag zu geben. Schließlich war eine Pilgerreise nach Loreto Ende der 1730er-Jahre unter Adligen das Angesagteste überhaupt. Wer auf sich hielt, musste dort gewesen sein.

Loreto in der Provinz Marken, 100 Kilometer südlich von Rimini an der Adria. Hier steht das Geburtshaus der Gottesmutter Maria. Klingt verrrückt. Wo doch jedes Kind weiß, dass Maria aus Nazareth in Galiliäa stammt. Aber, so erzählt die Legende, als das kleine Steinhäuschen während eines Kreuzzugs in Gefahr geriet, trugen es die Engel flugs übers Mittelmeer. Im Dezember 1294 landete Marias Geburtshaus in den Hügeln von Loreto.

Sofort bauten man eine Basilika mit einer hübschen Madonna darin, die man schwarz angestrichen hatte. Warum? Dieses Geheimnis nahmen die Schnitzer mit ins Grab. Das Kapellchen jedenfalls, das bis heute im Schlosshof zu Leutershausen steht, gleicht exakt dem „Elternhaus“ Mariens.

Die Wallfahrt boomte so sehr, dass eine neue Kirche gebraucht wurde

Im 18. Jahrhundert gehörte zur Kapelle noch eine kleine barocke Pfarrkirche, die aber 1907 abgerissen wurde. Die Wallfahrt zur schwarzen Madonna von Leutershausen boomte mittlerweile so sehr, dass man der Pilgermassen kaum noch Herr wurde. Eine neue, viel größere Wallfahrtskirche musste her. Als Bauplatz stellte die Grafenfamilie ihren Gemüse- und „Wassergarten“ zur Verfügung.

Dieser ehemalig Wisersche „Wassergarten“ ist ein uralter spiritueller Kraftort. Hier, am Lindenbrunnen liegt die Urzelle des Ortes. Von dieser Quelle aus entwickelte sich die erste Siedlung. Im Mittelalter stand hier der Adelshof der Familie von Hirschberg.

Die Schwarze Madonna von Leutershausen hat die Pilger von Anfang an angezogen wie ein Magnet. Doch nach der Weihe der neuen Wallfahrtskirche St. Johannes Baptist schnellte die Zahl der Wallfahrer in hinauf in nie geahnte Höhen.

St. Johannes Baptist ist ein Schmuckstück der Neugotik – monumental und filigran zugleich

St. Johannes Baptist ist ein Schmuckstück der Neugotik, monumental und filigran zugleich. Idyllisch eingebettet steht die Kirche zwischen alten Tabakscheuern. Von der Haltestelle der Bahn bis hierher brauchten wir zu Fuß nur knapp zehn Minuten.

Wie ein Bleistift stößt der spitze Turm der Leutershäuser Kirche 56 Meter hinauf zum Himmel.

Die Kirche gliedert sich in drei Schiffe. Man sieht viel Holz, viel Gold, viel kunstvolle Schnitzereien und viele schöne Fenster. Die schwarze Madonna steht im rechten Seitenschiff in einem eigenen kleinen Chor. Bescheiden, bildschön. Nur ihre Augen glühen.

Das Gnadenbild besitzt mehrere kostbare Gewänder in den vier liturgischen Farben. Sie sind Geschenke von Gläubigen, die sich bei der Muttergottes für ihre Hilfe bedanken wollen. Etwa 3000 Euro kostet ein handgenähtes Kleid. Einmal im Monat wechselt die Muttergottes ihr Gewand.

Der 15. August ist in Leutershausen offiziell ein Feiertag

Die Wallfahrt „Maria, Hilfe der Christen“ zu Leutershausen, so der offizielle Titel, hatte im ausgehenden 18. Jahrhundert ihre größte Blütezeit. Ihre Stunde der Bewährung jedoch schlug im Zweiten Weltkrieg. 1944 erreichten die Amerikanischen Bomber die Bergstraße. Leutershausen in Todesangst.

Außer sich vor Sorge um seine Gemeinde legte Pfarrer Josef Merk ein Gelübde ab: Wenn Leutershausen den Zweiten Weltkrieg heil überstehen würde, sollte der 15. August, das Hochfest Mariä Himmelfahrt, künftig zum Feiertag in der Bergstraßengemeinde werden. Leutershausen überlebte weitgehend unversehrt. 1945 erklärte der Gemeinderat von Leutershausen den 15. August offiziell zum Feiertag. „Zum Dank für die Erhaltung der Pfarrkirche und das glückliche Überstehen der Kriegshandlungen in unserem Dorf.“

Tausende von Gläubigen strömen alljährlich zu Mariä Himmelfahrt an die Bergstraße. Seit 1951 ziehen sie nach dem abendlichen Hochamt in St. Johannes Baptist in einer feierlichen und langen Lichterprozession durch die gräflichen Gärten, die nur an diesem Abend öffentlich zugänglich sind.

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